
Der „Spiegel“ nannte ihn das „Auge in Bonn“: Rund 10.000 seiner Aufnahmen erschienen in dem Nachrichtenmagazin, für das Jupp Darchinger (1925–2013) seit 1964 als Fotokorrespondent aus der Hauptstadt am Rhein im Einsatz war – ebenso wie für die Wochenzeitung „Die Zeit“. Zwar entstanden seine Porträts tonangebender Politiker – beispielsweise Konrad Adenauer, Ludwig Erhard, Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Helmut Kohl – aus tagesaktuellem Anlass. Doch einige der Fotografien haben inzwischen den Status überzeitlicher Dokumente erlangt. Das gilt beispielsweise für jene 1974 entstandene Momentaufnahme, auf der Günter Guillaume, der kurz darauf enttarnte Stasi-Agent, Willy Brandt etwas ins Ohr flüstert. Oder für die 1981 am Gleis des Bahnhofs Güstrow festgehaltene Szene, als DDR-Staatsoberhaupt Erich Honecker, in einer Aufwallung ungewohnten Lächelns, Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Abschied ein Hustenbonbon mit auf den Weg in den Westen gibt.

Geboren als Sohn eines Bonner Landwirts, absolvierte Darchinger (dessen Vorname eigentlich Josef Heinrich lautete) zunächst eine Landwirtschaftslehre. Nach dem Krieg sattelte er um und wurde Fotolaborant. Von dort war es nicht mehr weit zur Fotografie: 1949 kaufte er seine erste Leica-Kamera, seit 1952 war er als selbständiger Fotojournalist im Einsatz. Zunächst im Auftrag von SPD-nahen Publikationen und Gewerkschaften, später für alle großen deutschen Magazine und Zeitungen.

Darchingers Philosophie war das Gegenteil von Paparazzi-Mentalität: „Wer zu nah rangeht, sieht zu wenig“, meinte der aus Überzeugung diskrete Fotojournalist. „Man muss Abstand halten können.“
Neben Staatsreisen, Bundestagsdebatten, Kabinettssitzungen oder repräsentativen Empfängen hatte er auch Sinn für menschlich anrührende Momente, die sich hinter den Kulissen des Bonner Betriebs ereigneten – und für Humoristisches. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Raumpflegerin im Plenarsaal des Bundestages, die 1971 den Papiermüll der Politiker*innen zusammenfegt, uns dabei mit skeptisch-schelmischem Blick beäugend.

Nach dem Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin im Jahr 1999 beendete Jupp Darchinger seine fotografische Laufbahn. 2007 übergab er sein fotografisches Archiv der Friedrich-Ebert-Stiftung. Der Bestand umfasst rund 1,6 Millionen Negative, etwa 60.000 Positive und 30.000 Dias. Aus diesem gigantischen Fundus hat das LVR-Landesmuseum Bonn eine Auswahl getroffen, die neben oftmals publizierten Bildern auch manch Unbekanntes zeigt.
Von der Stunde Null über die Wirtschaftswunderjahre, die Ölkrise und die Friedens- und Emanzipationsbewegung bis zur Migrationsdebatte der 1980er-Jahre erstreckt sich der fotografische Parcours. Eine Zeitreise in die westdeutsche Nachkriegszeit, die spätestens mit der Wiedervereinigung endete. Aus heutiger Warte scheint sie mehr als bloß ein paar Jahrzehnte zurückzuliegen.