KunstFotografie

Tata Ronkholz fotografiert Trinkhallen

14.03.2025 - 13.07.2025
Veranstaltungsort
SK Stiftung Kultur / Photographische Sammlung
Die Trinkhalle, auch Büdchen genannt oder – bei erweitertem Angebot – SchelliImbiss, gehört(e) zur Bundesrepublik wie der VW-Käfer. Ein Rückblick in Bildern von Tata Ronkholz.
Zigaretten, Getränke und Spirituosen, Eis und Süßwaren, Zeitungen und bunte Blätter. Das steht im Angebot und wird laut, bunt und in großen Buchstaben plakatiert. Oft ist noch ein Kaugummi-Automat da.
Die Trinkhalle, auch Büdchen genannt und in Variation als Schnellimbiss mit Fritten, Hamburgern und Würsten möglich, gehört zur frühen und mittleren Bundesrepublik wie der VW-Käfer und das HB-Männchen. Jede ist anders, alle gleichen einander.

Erste Trinkhallen entstehen Mitte des 19. Jahrhunderts und platzieren sich vor Zechen und Hüttenwerken – geöffnet für Kumpel und Arbeiter. Es sind Szenerien wie aus einem Roman von Ralf Rothmann oder aus einer Folge  Schimanski: „Tatort“ Duisburg. Trude Herr oder Tana Schanzara würden einem als Besucher*innen des Büdchens gleich präsent sein. Konsum von gestern. Schwer vorstellbar, dass – anders als in Shops oder Supermärkten – die Kreditkarte gezückt werden würde. „Hier wird mit Kleingeld bezahlt. Trinkhallen sind keine sichere Bank“, schreibt Andreas Rossmann in seinem begleitenden Essay „Dorfplatz der Großstadt“, der den Bildband mit Fotografien von Tata Ronkholz beschließt. 

Meistens ist die Trinkhalle – mit Schaufenster und nicht immer mit Eingangstür – in einer Häuserreihe oder in einen Hauswinkel eingeklemmt und grenzt hart an den Rand der Straße; seltener steht sie frei und selbstbewusst eigenständig im Viereck, verirrt sich gar ins urbane Niemandsland und ist unterwegs als ambulanter Wagen.
Seltener auch macht sie sich breit im Parterres eines gediegenen Bürgerhauses. Manchmal grenzt sie übergangslos an sich anschließende Werbeplakattafeln. Oder füllt eine Lücke zwischen zwei Häusern, als sei sie selbst der Zahn der Zeit.
Je voller die Auslage, desto mehr Büdchen. Platz ist knapp. Auch im Innern. Das Sortiment stapelt sich, reiht sich dicht an dicht und die Regale hoch. Hier gilt nicht die PR-Strategie, dass zu große Fülle suggeriere, mit dem Kauf müsse man es nicht eilig haben, denn es sei genug vorhanden.
Wer zur Trinkhalle geht, braucht etwas: Bier, einen Schnaps, was zu rauchen, vielleicht ein Gespräch. Oder das, was die Hausfrau vergessen hat und die Kinder losschickt, die sich für ein paar Groschen auch noch Drops, Lakritz oder Mäusespeck mitnehmen dürfen.
Keine Kunden und keine Verkäufer
Auf den ersten Blick fehlt etwas in den fotografischen Ansichten von Tata  Ronkholz – so wie in den seriellen Abbildungen der Industriearchitektur ihres Lehrerpaars Bernd und Hilla Becher: Menschen. Wir sehen keine Kunden und keine Verkäufer, keine Passanten oder Eckensteher. Auch Autos schieben sich selten ins Bild.
Nichts lenkt aber vom Objekt, auch wenn es bei ihr keine skulpturale Erhöhung erfährt. Sie fotografiert mit der Großbildkamera, Format 13 x 18, „aus der Augenhöhe mit Tageslicht“, so beschreibt es Ronkholz.
Die 1940 in Krefeld geborene und 1997 früh verstorbene Fotografin, die vor ihrem Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie als Kommilitonin von Andreas Gursky, Thomas Ruff und Thomas Struth Möbel designte, hat sich umgeschaut: vor allem in Düsseldorf und Köln und in den Städten des Ruhrgebiets.

Die gut 100 Fotografien dieses schönen Bandes entstanden zwischen 1977 und 1984, als die Fassaden und oft auch die Auslagen ihre beste Zeit bereits hinter sich hatten. Abgesehen von einer Handvoll Aufnahmen, sind es Schwarz-Weiß-Fotografien. Man registriert dies erst richtig im Vergleich mit den farbigen Motiven, so sehr scheint das Andere die (künstlerische) Normalität.

Andreas Rossmanns Essay zitiert als Motto einen Satz von Heinrich Böll aus dem Jahr 1972, der das, was es im Kiosk zu kaufen gibt, „all die Nichtigkeiten, die an Kindheit erinnern“, nennt. Tata Ronkholz wollte „das Büdchen in seiner ganzen Liebenswürdigkeit zeigen“, auch in seiner kleinteiligen Bescheidenheit.  Wollte das Alltägliche festhalten, das auch das Widerborstige ist, das sich gegen die makellose Glätte, Geschwindigkeit und Routine der modernen Stadt wehrt.  

Tata Ronkholz, Trinkhallen, Fotografien, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2025, Hardcover, Deutsch / Englisch, 192 S., 49,80 Euro.

Parallel zeigen die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur in Zusammenarbeit mit VAN HAM Art Estate und dem Stadtmuseum Düsseldorf: Tata Ronkholz – Gestaltete Welt. Eine Retrospektive.Neben den Trinkhallen & Kisoken widmet sich etwa eine weitere Werkserie Industrietoren, aufgenommen zwischen 1977 und 1985. Die Schwarz-Weiß-Bilder der Tore lassen durch Gitter und Gestänge den Blick ins Innere der Gewerbebereiche erahnen und wirken durch ihre graphische Struktur fast abstrakt.

14. März bis 13. Juli 2025 (Eröffnung: 13. März, 19.00 Uhr)

Text
Andreas Wilink
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Tata Ronkholz fotografiert Trinkhallen

14.03.2025 - 13.07.2025
Veranstaltungsort
SK Stiftung Kultur / Photographische Sammlung

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