5 Fragen an Dorothee Krings

LiteraturBuchtippsDüsseldorf
Im Debütroman von Dorothee Krings, "Tage aus Glas", geht es um die größte Glashütte der Welt, die um 1900 in Düsseldorf stand. Ein Gespräch.
Frau Krings, wie sind Sie auf ihr Thema gestoßen – einen historischen Streik in der Glashütte im Düsseldorfer Stadtteil Gerresheim?
Dorothee Krings:
Ein lokaler Historiker hat mir in einem anderen Zusammenhang erzählt, dass es an der Gerresheimer Glashütte einen erbitterten Streik gegeben hat. Und dass als eine Folge die streikenden Arbeiter aus ihren Werkswohnungen geworfen wurden. Da dachte ich sofort an die weibliche Perspektive – weil Frauen damals ja für Kinder, Haushalt und Wohnungen verantwortlich waren und damit auch hart getroffen wurden. Ich dachte, dass man davon mal erzählen sollte. Außerdem kann ich mich begeistern für alte Handwerke. Nach dem Abitur habe ich selbst eine Goldschmiede-Ausbildung gemacht. In der Zeit habe ich auch begonnen zu schreiben.
Wie sah die Arbeit an Ihrem Buch aus?
Dorothee Krings:
In der ersten Version des Buchs gab es wie bei „Moby Dick“ – ohne mich ansonsten vergleichen zu wollen - einige Kapitel, die sich nur mit der Glasmachertradition und dem Handwerk beschäftigten. Ich war bei der Recherche auch in einer Show-Glasmanufaktur, habe selbst eine Kugel geblasen und erfahren, was für ein sämiger, honigartiger Werkstoff das ist, der total sensibel reagiert. Was da für ein Know-How in diesem Handwerk steckt! Das hat mich fasziniert, diese Können. Man muss sich klarmachen, ein Glasmacher von damals hat in einer Acht-Stundenschicht 230 Gläser gepustet. Die Puste kam von diesem einen Glasmacher, die hatten also ausgedehnte, schlaff runter hängende Wangen. Wichtig war für mich auch das Thema Gerechtigkeit. Deshalb habe ich zwei Hauptfiguren aus unterschiedlichen Klassen entworfen – weil auch die bürgerliche Schicht vom Streik betroffen war und Frauen dieser Klasse etwa von Konventionen eingeengt wurden.
Wann war der Streik der Glasmacher und worum ging es dabei?
Dorothee Krings:
1901 gab es in Hannover ein Treffen des „Verbands der Glasarbeiter und -arbeiterinnen Deutschlands“, das war eine freie Gewerkschaft, die einen Generalstreik für das Deutsche Reich ausgerufen hat. Gekämpft wurde gegen zu niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen, aber auch um Selbstbestimmung. Die Gerresheimer sind im Juni in den Streik eingetreten, gedauert hat er dort bis September. Eigentlich waren die Arbeitsverhältnisse in Gerresheim gar nicht schlecht. Mit guten Löhnen und Privilegien wollte Direktor Hermann Heye die umherziehenden Arbeiter sesshaft halten: Es gab eine Gesundheitsversicherung für kostenlose Behandlungen, das Ferdinand-Heim für Invalide, zu den Werkswohnungen gehörten Ställe, alle bekamen ein Stück Land für Gemüseanbau, viele hatten Brieftauben wie im Ruhrgebiet. Die körperliche Belastung war hoch, aber dagegen wendete sich der Streik nicht. Die Düsseldorfer haben aus Solidarität mit ihren Kollegen in anderen Hütten gestreikt. Es ging aber auch um Akkord-Arbeit: Wie werden Akkorde festgelegt? Und es ging um Mitspracherechte und Macht.
Welche Auswirkungen hatte der Streik?
Dorothee Krings:
Die Direktion der Glashütte hat versucht, die streikenden Arbeiter durch Menschen etwa aus Polen und Russland zu ersetzen. Sie hat enorme Verluste gemacht, aber es ging weiter – und die Arbeiter haben bitter verloren. Rund 100 Glasmacher hat die Fabrik am Ende nicht zurückgenommen, das war ein tiefer Einschnitt. Die Arbeiter verloren ihre Absicherungen, ihre Wohnungen, ein reiches Vereinsleben lag danieder.
Wie viel war über die Situationen der Frauen damals herauszubekommen?
Dorothee Krings:
Das war meine Haupt-Rechercheaufgabe: Wie sah das alltägliche Leben für die Frauen aus? Es gibt diese weibliche Geschichtsschreibung kaum. Das ist eine Leerstelle, die kann ich nur literarisch füllen, in der Hoffnung, dass das Schreiben vielleicht das Leben ein bisschen trifft. Die Frauen mussten es ja ausbaden, was den Männern widerfuhr, sie mussten zum Beispiel über Nacht einen ganzen Hausstand ausräumen. Über den Alltag der Arbeiterklasse habe ich viel aus Briefen erfahren, die in Archiven lagern. Ein Arzt aus dem Viertel hat ein Anekdotenbuch in Hötter Platt geschrieben - einer Mischung aus Rheinisch und all den Sprachen der Arbeiter aus dem Baltikum, Russland, Polen, später auch Italien. Die hatten ihren eigenen Dialekt, der auch wissenschaftlich erforscht wird. Ich habe viel Zeit im Stadtarchiv, im LWL-Textilmuseum Bocholt und im Glasmuseum Petershagen verbracht. In Petershagen gibt es auch ein Musterhaus aus der Zeit, da habe ich viel gesessen und versucht, die Zeit zu begreifen. Am Ende hatte ich so viel Material, dass ich ungefähr die doppelte Länge dieses Romans wieder weggestrichen habe.

Tage aus Glas“, 320 Seiten, HarperCollins, 24 Euro

dorotheekrings.de

Interview
Max Florian Kühlem
Fotos
Andreas Krebs

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