MusikKlassik

“Greift zu, schlagt tot“ - Es ist Passionszeit

17.03.2024
Besonders fröhlich kommt sie nicht daher, die "Brockes-Passion". Könnte am Thema liegen: “Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“, wie es der Originaltitel verrät. Aber das Leben ist eben nicht immer hübsch und das Sterben meist noch weniger.

Karneval ist vorbei und schon beginnt mit Aschermittwoch die Passionszeit. In den rund sieben Wochen bis Ostern gedenken Christen dem Leidensweg Jesu bis zur Kreuzigung. Viele Künstler haben sich in ihren Werken mit dieser Geschichte beschäftigt, so auch Komponisten. Zu den berühmtesten zählen hier sicher die Passionen von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach, von denen letztere am 29. März in der Kölner Philharmonie durch das Gürzenich Orchester zur Aufführung kommt.

Doch auch in den Kirchen NRWs stehen die musikalischen Verarbeitungen auf den Programmen. So nehmen sich etwa die Chöre der Mülheimer Petrikirche - unter der Leitung von Kirchenmusiker Christoph Gerthner - am 17. März dieses eher dunklen Sujets in Form von Händels "Brockes-Passion" an. Wir haben mit dem Kantor über Musik, Text und deren Bedeutung in der heutigen Zeit gesprochen.

Was ist aus musikalischer Perspektive das Besondere an einer Vertonung der Leidensgeschichte Jesu?
C.G.:
Die Passionsgeschichte ist wohl zuallererst theologisch besonders, stellt das Leiden, Sterben und die Auferstehung Jesu doch das Zentrum des christlichen Glaubens dar. Sich musikalisch damit auseinander zu setzen hat bei vielen Komponisten zu unglaublicher Musik geführt, schließlich geht es – einen gläubigen Komponisten vorausgesetzt – ja um die eigene Hoffnung auf Erlösung. Ganz abgesehen davon ist die Passionserzählung natürlich auch eine äußerst spannende Geschichte. Zwischen aufgehetzten Volksgruppen, menschlicher Todesangst und dem würdevoll-göttlichen Auftreten Christi gibt es allerhand Gelegenheiten, die eine expressive und unerhörte Musik erfordern.
Die Brockes-Passion spart nicht eben an Gewaltaufrufen, Tod oder auch mal Eiterbeulen. Für viele Zuhörer*innen vielleicht erschreckend. Gehen christliche Werke offener mit menschlichen Realitäten um, als wir es in unserer Gesellschaft gewöhnt sind?
C.G.::
Für die Passionsgeschichte gehört die Schilderung von Gewalt und Tod ja erstmal zum Programm. Die teils drastischen Ausdrücke, mit denen das Geschehen ausgemalt wird, sind ein typisches Merkmal barocker Dichtung. Das ist gar nicht auf christliche Werke beschränkt, sondern findet sich genau so auch in barocken Opern. Vieles davon scheint uns aus heutiger Sicht erst einmal fremd, aber das ist vor allem die Art des Ausdrucks. Die menschlichen Abgründe, die dahinter stehen, sind heute so aktuell wie damals.
Zwischen aufgehetzten Volksgruppen und menschlicher Todesangst.
Christoph Gerthner

Die Passion geht auf einen Text des Hamburger Ratsherrn, Schriftstellers und Dichters Barthold Heinrich Brockes zurück. Nach der Uraufführung einer ersten musikalischen Verarbeitung durch Reinhard Keiser im Jahr 1712, wurde das Stück gleich mehr als zehn weitere Male vertont - so etwa von Johann Mattheson oder Gottfried Heinrich Stölzel. Johann Sebastian Bach verwendete Teile in seiner Johannes-Passion.

Warum haben Sie sich für die musikalische Fassung von Georg Friedrich Händel entschieden?
C.G.:
Kennengelernt habe ich Händels Brockes-Passion in meinem Studium im Gesangsunterricht. Dabei wird schon die erste Qualität deutlich, die Händels Vokalwerken eigen ist: Sie sind immer sehr gut zu singen – Händel verstand es, „für die Stimme“ zu schreiben. Außerdem erzeugt er auf geniale Weise musikalische Stimmungen und Affekte, teils mit ganz reduzierten Mitteln, und hat ein Händchen für Ohrwürmer. Diese Eigenschaften, die ihm großen Erfolg als Opernkomponist beschert haben, sind gute Gründe, seine Kirchenmusik aufzuführen.
Ist das Konzert – und im weiteren Sinne Kirchenmusik allgemein – auch etwas für Musikliebhaber*innen ohne einen christlichen Hintergrund?
C.G.:
Unbedingt! Wie schon erwähnt: Wenn man der Passionserzählung den christlichen Hintergrund nimmt, bleibt immer noch eine sehr spannende und dramatische Geschichte übrig. Und die Arien und Chöre bleiben großartige Musik, auch wenn jemand mit dem theologischen Inhalt des Texts wenig anfangen kann.
Wer wird bei der Aufführung neben den rund 100 Chorsänger*innen noch dabei sein?
C.G.:
Neben dem Chor werden vier Vokalsolist*innen singen: Clementine Jesdinsky, Sopran; Álvaro Tinjacá-Bedoya, Altus; Robert Reichinek, Tenor und Erik Sohn, Bass. Außerdem wird das Cölner Barockorchester in Kammerbesetzung spielen.
Interview
Anja Keienburg
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