„Das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet“, hat Franz Beckenbauer gesagt. Verständlich, dass man dem ‚Kaiser‘ im Kohlenpott nur allzu gern Glauben schenkt. Weil die letzte Meisterschaft für einen Verein aus der Region schon mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt, klammert man sich an den Trostpreis „Meister der Herzen“. Eine Leidenschaft, die für etliche Fans zuletzt reichlich Leiden schuf: Aktuell spielen in der ersten Bundesliga nur noch zwei Vereine aus dem Ruhrgebiet (Bochum und Dortmund).
So verwundert es nicht, dass die Ausstellung den „Mythos“, den sie im Titel führt, ausführlicher beleuchtet als die tendenziell betrübliche „Moderne“. Im Ruhrgebiet, wo der Steinkohlenbergbau vor fünf Jahren gänzlich zum Erliegen gekommen ist, diente der Fußball seit den 1930er-Jahren als Sinnbild für ein spartanisches Leben, das vor allem durch harte Arbeit definiert wurde. Zahlreiche der rund 450 Dokumentarfotos, die einen Zeitraum von rund 90 Jahren abdecken, zelebrieren das Narrativ vom Malocher-Sport. Teils eine Legende. Gern auf ihre proletarischen Wurzeln verweisen beispielsweise der FC Schalke 04 und Borussia Dortmund; beides Heimstätten der Euro 2024. Tatsächlich jedoch handelte es sich bei diesen Clubs um bürgerliche Gründungen.
Die Fußball-Folklore, wie sie in der Ausstellung im Ruhr Museum mit Bildern aus dem Bestand des Ruhr Museums, aus Archiven von Vereinen oder von Foto-Agenturen geschildert wird, ignorierte den bürgerlichen Background, der sich mit dem populären Motto „Hier wird Fußball gearbeitet“ nur schwer unter einen Hut bringen ließ. Besser ins Bild passte ein Fototermin der Schalke-Profis, die 2017 der Bottroper Zeche Prosper Haniel ihre Aufwartung machten – damals das letzte aktive Steinkohlen-Bergwerk im Ruhrgebiet.
Fußball als Lebensgefühl – im Ruhrgebiet war es förmlich mit der Hand zu greifen: im Stadion und auf der Straße, bei den Profis und den Amateuren, auf dem Platz und am Spielfeldrand, bei Spitzenspielen und Lokalderbys, vor allem aber bei den Fans, die zu den Fußballtempeln im Revier pilgerten, um ihre Helden in der „Kampfbahn“ voranzupeitschen.
Was die revierspezifische Fußball-Fotografie so unverwechselbar macht, ist nicht zuletzt die herbe urbane Kulisse, vor der sich der Kick abspielte: 1955 beobachtete der Fotograf Peter Kleu die Spielerinnen des neu gegründeten Vereins Gruga Essen beim Training im Ruhrstadion – das öde Terrain wirkt auf seiner Aufnahme fast wie eine Mondlandschaft. Nachkriegszeit pur. Die Kühltürme der Zeche Victoria Mathias in Essen, die der Kölner Fotograf Chargesheimer 1957 mit ins Bild brachte, degradieren den Acker, auf dem sich das fußballerische Geschehen entfaltet, zur Nebensache. Ähnlich, ja noch drastischer verhält es sich mit dem Bolzplatz vor dem Kraftwerk Scholven in Gladbeck, den der Düsseldorfer Fotograf Dirk Krüll 2008 als trist-menschenleere Wiese festhielt.
Orte sind wichtig. Noch wichtiger sind Menschen, in diesem Fall Spieler und Trainer, die dem Fußball im Ruhrgebiet ihren Stempel aufgeprägt haben. Mit solchen Legenden, deren Nimbus auch nach dem Schlusspfiff nicht verblasste, kann das Ruhrgebiet reichlich aufwarten. Fritz Szepan und Ernst Kuzorra, die beiden Aushängeschilder des „Schalker Kreisels“, waren in den 1930er Jahren die ersten Kultfiguren des Fußballs im Ruhrpott. Heldenstatus genoss auch „Adi“ Preissler, der Borussia Dortmund als Teil des Stürmertrios „Die drei Alfredos“ 1956 und 1957 zu zwei Meisterschaften verhalf. Sein Satz „Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz“ zählt zu den Evergreens des Fußball-Diskurses.