Er selbst bezeichnete sich als „the world‘s most famous bad pianist“. Offenbar hatte Nam June Paik Sinn für Ironie. Mag er auch kein Klaviervirtuose gewesen sein, so zählte er Anfang der Sechziger definitiv zu den Wegbereitern der experimentellen Musik. Von einer „Musik nach der klassischen Musik“ sprach er selbst in seinem Manifest „Postmusic“. Besonders häufig zum Einsatz kamen Klavier, Violine und Cello. Dabei ging es ihm nicht nur darum, Musik aufzuführen – zugleich stellte er sie aus. Obwohl der Künstler so sanft wirkte, liebte er, typisch Fluxus, die Provokation: Die Performances, die Paik gemeinsam mit der Cellistin Charlotte Moorman auf die Bühne brachte, gipfelten regelmäßig in der Entkleidung seiner Mitstreiterin. Nacktheit, monierte das Duo, würde im 20. Jahrhundert immer noch zu Unrecht aus der klassischen Musik ausgegrenzt.
Ungewöhnliche Partituren und fotografische Dokumentationen seiner musikalischen Darbietungen gehören ebenso zu den rund 100 Exponaten der Dortmunder Schau wie Installationen, Skulpturen, Videos, Handlungsanweisungen, Konzepte und Plakate. Highlight der von Rudolf Frieling, Christina Danick und Stefanie Weißhorn-Ponert kuratierten Schau ist Paiks Rauminstallation „Sistine Chapel“– ein Vorläufer der immersiven Welten, die inzwischen auf breiter Front in den Kunstbetrieb Einzug gehalten haben. Bei der Venedig-Biennale von 1993 hatte Paik, der von 1979 bis 1996 an der Kunstakademie Düsseldorf lehrte, seine ‚Sixtinische Kapelle‘ im deutschen Pavillon eingebaut. Mit einer bis dahin nicht dagewesenen Fülle von Projektoren bespielte der Künstler Wände und Decken des Pavillons. Marco Polos Reisen hatten ihn zu dieser multimedialen Collage inspiriert. Das Museum Ostwall präsentiert jetzt eine Rekonstruktion von 2019 – ein Videoswitcher wirft Ausschnitte von Paiks Arbeit per Zufallsgenerator an die Wand.
In zehn Galerien ist das Schaffen des umtriebigen Pioniers im Museum Ostwall aufgefächert. Dabei geht es um Aspekte wie „Playback und Partizipation“, die Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus, seine Live-Satellitensendungen, die enge Verbindung zur US-Musikerin und künstlerischen Weggefährtin Charlotte Moorman oder die Zusammenarbeit mit „Brüdern im Geiste“ wie Karlheinz Stockhausen, Joseph Beuys und Dieter Roth. Schließlich stellen Arbeiten von vier zeitgenössischen Künstler*innen die Verbindung zur Gegenwart her: Aki Onda, Autumn Knight, Annika Kahrs und Samson Young haben sich bei ihren sogenannten Gastspielen von Paik inspirieren lassen.