Film

"Das Lehrerzimmer" von Ilker Catak

Deutschland liegt auf Platz drei der Länder mit den meisten Oscars für den besten Internationalen Film. In diesem Jahr geht "Das Lehrerzimmer" mit Leonie Benesch in der Hauptrolle ins Rennen.

Ist die Schule ein geschützter Raum, als der er idealerweise dargestellt wird? Nach Ansicht von Ilker Cataks »Das Lehrerzimmer« ist er alles andere als das, stattdessen Abbild der Gesellschaft in ihren äußerlich alltäglichen Abläufen und inneren Spannungen bis hin zu einer extremen Zerrissenheit. Auf der nach oben offenen Erregungsskala finden sich Markierungen für Diskurs-Krisen (Alarmbegriff: Struktureller Rassismus), Misstrauen und Empörung (Alarmbegriff: Zensur und Bespitzelung), Verdächtigung und Verleumdung (Alarmbegriff: Mobbing) und eine Eskalation, die zu Gewalt und unkalkulierbaren Risiken führt.  

Carla Nowak (Leonie Benesch – von unergründlicher Normalität und komplizierter Einfachheit) unterrichtet seit einem halben Jahr auf ihrer ersten Stelle an einem Gymnasium die Fächer Sport- und Mathematik; und wie es aussieht, macht sie es gut und gehört die Schule nicht zu einem Problembezirk, zeigt keinen Verschleiß in Einrichtung und Ausstattung und kennt eher bürgerliche Verhältnisse. Es gilt die »Null-Toleranz-Politik«. Das heißt:

Jeder Regelverstoß hat Folgen.

Als eine Reihe von Diebstählen passieren, bitten einige aus dem Lehrerkollegium die Klassensprecher*innen um Mithilfe, was, auch wenn es anders genannt und freundlich bemäntelt wird (»Das Ganze ist natürlich freiwillig«) und es nicht gleich um disziplinierendes Überwachen und Strafen geht, als verpetzen, anschwärzen, verraten verstanden werden kann. Jedenfalls von den Schülerinnen und Schülern so verstanden wird, zumal, als Ali in – falschen – Verdacht gerät. Ausgerechnet ein Junge mit Migrationshintergrund und einem Taxi fahrenden Vater.

Carla Nowak war bei der Sache bereits unwohl. Nun aber begeht sie den Fehler, mit einem Trick das kriminelle Tun selbst aufklären zu wollen, indem sie im Lehrerzimmer ihre Tasche mit Portemonnaie liegen lässt und ihren Laptop so platziert, dass er einen möglichen Zugriff per Video festhält. Zu sehen ist dann darauf eine auffällig gemustert Bluse, die der Schulsekretärin Frau Kuhn (Eva Löbau) gehört. Zu Rede gestellt, weist sie den Verdacht empört von sich; sie wird beurlaubt; ihr Sohn Oskar, der ebenfalls in Carla Nowaks Klasse geht, hat einiges auszuhalten und muss sich böse Sprüche anhören, bis er krass ausrastet und suspendiert wird.  

Je mehr Carla Nowak sich bemüht, zu vermitteln, zu entschärfen und das Richtige zu wollen, desto mehr entgleitet ihr die Situation, woran sowohl die teils renitente, teils provozierend auftrumpfende Schülerschaft (und eine Ausgabe der Schülerzeitschrift mit einem fatalen Fake-Interview) wie auch Eltern und Einzelne im Lehrerkollegium Anteil haben. Dass »das Unberechenbare berechenbar« wird, wie der antike Astronom Thales lehrt, dessen Theorie Carla Nowak ihrer siebten Klasse erklärt, ist auf das sich hier Ereignende nicht anzuwenden.

Zum Besten gehört, dass Ilker Cataks Film in seiner atmosphärischen Konzentration und Präzision sich nicht leicht einordnen lässt und unentwegt changiert zwischen Thriller (ein Eindruck, den die drängende Musik mit motiviert), sozialer Studie, psychologischem Konfliktdrama, Aufklärungsreport: bis zum elektrisierenden Schluss mit Mendelssohns »Sommernachtstraum«-Ouvertüre, der eine Euphorie in die Welt trägt, die die Erzählung nur sehr bedingt aufbringt – nämlich bezogen auf das kluge Verhalten von Carla Nowak und ihr Räsonnement.

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