BühneSchauspiel

Christian Schäfer über „Bermpohl bleiben“

bis 03.10.2024
Christian Schäfer bringt mit "Bermpohl bleiben" zum Saisonstart am Theater Gütersloh eine Uraufführung von Katharina Schlender über das Thema Seenotrettung auf die Bühne. Ein Gespräch (auch) über Funker im Sturm und Tragödien im Mittelmeer.

Ein Sturm tobt, die Funkverbindungen brechen ab. Als 1967 das Seenotrettungsschiff „Adolph Bermpohl“ unterzugehen drohte, müssen sich dramatische Szenen abgespielt haben. Die gesamte Besatzung ging über Bord und verunglückte – der aufgezeichnete Funkverkehr von damals existiert bis heute. Und dürfte in Gütersloh für eindringliche Momente sorgen: Christian Schäfer hat die mehrfach preisgekrönte Autorin Katharina Schlender damit beauftragt, ein Stück über den Namensgeber jenes Schiffes Adolph Bermpohl zu schreiben, das auch die Aufzeichnungen von damals verarbeitet. Und das Thema Seenotrettung an sich. Denn deren Gründervater für die Deutschen Seegebiete war 1833 zur Welt gekommen – in Gütersloh.

Herr Schäfer, den Wenigsten dürfte bekannt sein, dass der Initiator der organisierten deutschen Seenotrettung ausgerechnet aus Gütersloh kommt. Wie bekannt ist er in der Stadt?
Christian Schäfer: :
Es gibt eine ziemlich beliebte Kneipe, gleichen Namens (lacht). Im Ernst: Es ist nicht wirklich bekannt. Manchem ist vielleicht schon einmal die Plakette an seinem Geburtshaus am alten Kirchplatz aufgefallen, dem historischen Stadtkern von Gütersloh. Für die Seenotretter, die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit Sitz in Bremen, ist Adolph Bermpohl natürlich eine maßgebliche Figur.
Wie kamen Sie auf seine Person?
Christian Schäfer:
Ich interessiere mich als Theaterleiter grundsätzlich für spannende Geschichten und Persönlichkeiten, die sich mit Gütersloh, mit unserem Kreis, unserer Region bis zum Teutoburger Wald verbinden. Der Bielefelder Bachmannpreisträger Tilmann Rammstedt hat sich für uns ja auch schon mit der Hermannschlacht beschäftigt. Bachmannpreisträgerin Nora Gomringer in „Oinkonomy“ mit dem Tönnies-Skandal und der hiesigen Fleischindustrie und Joachim Zelter mit dem Pietistenprediger Johann Heinrich Volkening, der den Ruf Güterslohs als „Klein Nazareth“ begründet hat. Wir versuchen regionale Impulse aufzunehmen und möglichst unterhaltsame und welthaltige Stücke daraus entstehen zu lassen. Allerdings dürfen sich die Autoren sehr frei mit den Themen beschäftigen – da ist ihre Fantasie gefragt. Wir sind jedes mal sehr gespannt, in welche Richtung es dann geht.
Warum haben sie für „Bermpohl bleiben“ die Autorin Katharina Schlender ausgesucht?
Christian Schäfer:
Beeindruckt hat mich ihre ganz eigene Herangehensweise und Sprache. Mich interessiert, immer wieder neue Stile und Ästhetiken nach Gütersloh zu bringen. Sie hat sich ziemlich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, war im Archiv und hat sich auf Bermpohls Spuren begeben. Es gehört zur Historie der Stadt, dass deren großen Söhne, wie zum Beispiel auch der Komponist Hans Werner Henze, Güterlsloh in frühen Jahren verlassen haben (lacht). Adolph Bermpohl verließ sein Elternhaus als Jugendlicher – eben um zur See zu fahren. Und um einer Laufbahn als Theologe zu entgehen, die sich seine Eltern eigentlich für ihn vorgestellt hatten.
Und dennoch ist das Stück ja kein historisches.
Christian Schäfer:
Ja, das stimmt. Wen wir da im Stück sehen, ist ein heutiger Mensch, der etwa 20-jährige Alfons, der Seenotretter werden will. Wir blicken in seinen Kopf, erleben seine (Alb-)Träume und bekommen so seine Sorgen, Ängste und Wünsche mit. Alfons weiß nicht, ob er den Anforderungen gewachsen ist. Daraus entwickelt sich eine vielschichtige tragikomische Geschichte, ein „Seestück“, um mit Gerhard Richter zu sprechen. Alfons wird in seiner Wohnung genauso von Figuren aus der griechischen Mythologie behelligt, wie vom Seenotrettungsdienst der DDR oder einem leibhaftigen Mettigel (lacht).
In „Bermpohl bleiben“ spielen nicht nur Mitglieder der Bürgerbühne und des Spielclub 13+ mit, sondern auch der Gütersloher Shanty-Chor „Luttermöwen“. Welche Rolle übernehmen sie?
Christian Schäfer:
Ich war erstaunt, dass es in und um Gütersloh zahlreiche Shanty-Chöre gibt! In deren Liedern geht es natürlich auch oft um das Thema Rettung. Katharina Schlender vermischt in ihrem Stück die unterschiedlichsten Zeiten. In den 60er Jahren war bei einem Rettungseinsatz der nach Adolph Bermpohl benannte Seenotkreuzer selbst bei einem Einsatz in Not geraten. Die gesamte Besatzung kam im Sturm vor Helgoland ums Leben. Der Funkverkehr von damals mit der Station in Norddeich kommt im Stück vor – der Norddeich-Funker wird von einem Schauspieler der Bürgerbühne mit norddeutschem Einschlag gespielt. Als zwischen ihm und den Besatzungen der Funkverkehr abreißt, lässt der Chor „die Leuchtfeuer brennen“.
Heute lässt sich das Thema Seenotrettung nicht ohne die nahezu täglichen Unglücke im Mittelmeer betrachten.
Christian Schäfer:
Das Thema Mittelmeer ist natürlich eines, das uns zu dem Stück gebracht hat, auch wenn es Bermpohl seinerzeit um die Behebung der Missstände in den deutschen Bereichen von Nord- und Ostsee ging. Die Menschen sind dort damals oft direkt vor der Küste gestorben, ohne dass die Bewohner an Land helfen konnten bzw. wollten. Viele haben einfach zugesehen. Nicht selten ging es ihnen darum, das sogenannte Strandrecht auszuüben und das Strandgut abzugreifen. Heute stellen sich die Missstände etwas anders dar, sind unglaublich komplex. Ein Hotspot liegt vor den Grenzen Europas im Mittelmeer. Die Stichworte sind allgegegenwärtig: Kriege, Hunger, Klima, Flucht, Vertreibung, Abschottung… Der Protagonist unseres Stückes hofft darauf, ähnlich tatkräftig wie seinerzeit Bermpohl werden zu können, um dem heutigen Sterben etwas entgegenzusetzen und nicht tatenlos zu versteinern.

Mehr Infos zur Spielraum-Förderung, in dessen Rahmen auch "Bermpohl bleiben" entstanden ist, gibt es hier.

Interview:
Annika Wind
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Christian Schäfer über „Bermpohl bleiben“

bis 03.10.2024

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