Immer auf dem Sprung: Paula Pau und Igor Sousa

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Die kleine Altbau-Wohnung in Düsseldorf wirkt sehr clean. Nichts Dekoratives – bis auf eine kleine Monstera neben dem Schreibtisch und einen kahlen Ast an der weißen Raufaser-Wand. Ist diese fast mönchische Aufgeräumtheit Prinzip oder nur der Tatsache geschuldet, dass Paula Pau und Igor Sousa noch nicht lange in dieser Wohngemeinschaft zusammenleben? Nach ihrem Studienabschluss an de Folkwang Universität wurden sie direkt bei der Ben J. Riepe Kompanie engagiert, parallel dazu bekamen sie das „Sprungbrett“-Stipendium mit Auftritten bei „Now & Next“ am Tanzhaus NRW und beim Festival Tanz NRW 2021. Viel Zeit für die individuelle Gestaltung der Wohnung bleibt da kaum.

Vielleicht ist aber auch das Fehlen von Dekoration, vom Wunsch, den Räumen über Dinge Individualität zu verleihen, ein Prinzip?  So kann das Nachdenken darüber, was die eigene Identität eigentlich ausmacht, sich unbelasteter entfalten. Igor Sousa kommt aus Brasilien und lernte dort klassisches Ballett auf einer Bolshoi-Schule. Paula Pau stammt aus Malaysia, wo sie sich auch mit traditionellem Tanz beschäftigt hat. Weiter könnten die Hintergründe kaum auseinander liegen. Auf der Folkwang mussten dann beide Tanz noch einmal ganz anders lernen und gleichzeitig ihre eigenen Künstlerpersönlichkeiten entwickeln.

Sie haben diese Ausgangsposition genutzt, um grundsätzlich über das Konzept der Identität nachzudenken, bis hinein in die intimsten Bereiche: Paula Pau identifiziert sich mittlerweile als weiblich, Igor Sousa nimmt sich die Freiheit, jede dauerhafte Gender-Festlegung zu ignorieren. In ihrer gemeinsamen Arbeit „Imminent Arrival“ ist aber die Genderfrage nur ein Thema unter anderen. Begonnen haben sie die Arbeit mit einem hochenergetischen Drei-Minuten-Stück im Rahmen eines „Junge Choreographen“-Abends an der Folkwang Universität. Es folgte eine zweite Bühnenversion für die Präsentation am Tanzhaus NRW, die sich vom reinen Tanz zu performativen Elementen bewegte. Nicht nur Pandemie-bedingt wurde daraus dann ein artifizieller und eigenständiger Film für das Tanz-NRW-Festival. Auch das „Auf geht’s“-Stipendium des Landes hat ihnen diesen Wechsel in ein anderes Medium ermöglicht.

Es geht in unserer Arbeit nicht um Identitätsfindung. Unsere Identität ist schon da.
Paula Pau

„Wir beschäftigen uns mit Religion, Spiritualität und Queerness“, sagt Igor Sousa. Brasilianisches, evangelisches Christentum und Taoismus: „Wo ist in unseren Religionen und biologischen Familien der Platz als queere Person?“, fragt Sousa. Als weiteres Thema kommt dann hinzu, wie die Erwartungen und Klischees einer westlichen, offenen Gesellschaft an Menschen mit einem solchen Hintergrund sind. Überraschend reflektiert sprechen die beiden Tänzer*innen über ihre Arbeit und ihre Identitäten. Gleichzeitig wirken sie dabei immer entspannt und zugänglich. Sinnlichkeit, Humor und Selbstironie – auch das gehört zu „Imminent Arrival“. Sowohl Sousa als auch Pau beherrschen das Spiel mit den – auch erotischen – Erwartungen, die an sie herangetragen werden, perfekt. Ästhetisch haben sie sich rasant aus dem manchmal starren Korsett der Folkwang-Ausbildung befreit.

In der Filmversion von „Imminent Arrival“ ließen sie sich 3D-Animationen als Erweiterung ihrer Bildsprache programmieren. Und dann ist da die Musik, die ihren Arbeiten oft eine Wiedererkennbarkeit gibt. „Wir sind beide sehr musikalisch“, sagt Igor Sousa, „am Anfang jeder Probe singen wir“. Sousa ist es auch, der unter dem Namen „Andras_2020“ elektronische Musik produziert und veröffentlicht. Auch die Musik für ihre Stücke produziert er: „Paula liefert aber auch viele Ideen, die ich nur mit meinem Know-How umsetze.“ Auch an dieser Stelle bilden die beiden Tänzer*innen, die aus so verschiedenen Welten kommen, eine perfekte künstlerische Einheit.

Text
Honke Rambow
Fotos/Videos
Markus J. Feger

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