Eine Hofeinfahrt in der ruhigen Wohnstraße im Stadtteil Flingern. Im großen Fenster daneben kann man im Vorbeigehen manchmal junge Menschen in einer Küche werkeln sehen. Vielleicht fällt der Blick zufällig in den Hinterhof mit Pflanzkübeln, Bänken und Sonnenschirmen. Dass hier Künstler*innen in einem der lebendigsten Atelier-Orte Düsseldorfs arbeiten – kaum zu erahnen. "Freiraum" heißt dieser seit 2019 bestehende Ort, und genau das ist auch sein Konzept.
Das jüngste Experiment startete im November 2022. Der Düsseldorfer Choreograf Ben J. Riepe hat sich den "Freiraum" ausgedacht. Eine Förderung des Bundes im Rahmen von "Tanzpakt" machte 2019 die Umsetzung möglich. Nur wenige Häuser neben dem Studio seiner eigenen Kompanie entdeckte er den anderthalbstöckigen Bau in einem Hinterhof. Früher war hier mal eine Druckerei. Jetzt teilt sich der Trakt in einen großen weißen Raum mit breiter Fensterfront. Auf einer Empore und durch Glasscheiben abgetrennt ein Loungebereich, in dem auf einem Tresen immer frisches Wasser mit Zitrone und Minzblättern steht. Als "Coworking-Space" bezeichnen ihn die Mitarbeiter*innen. Ein kleineres Atelier schließt sich an. Vorne neben der Toreinfahrt sind Büros für die Mitarbeiter*innen des Freiraums.
Riepes Konzept nimmt den Begriff "Freiraum" sehr ernst. Unkuratiert sollte der Raum allen Künstler*innen, die Interesse haben, zur Verfügung stehen. Ein Wagnis. Niemand konnte ahnen, wer mit welchen Ideen anfragen würde. Welches künstlerische Niveau sich einstellen würde. Dass zunächst die meisten aus den Bereichen Tanz und Performance kommen würden, war abzusehen, weil Riepe dort seine stärksten Netzwerke hat. Aber er wollte von Anfang an mehr als nur einen Probenraum für szenische Experimente zur Verfügung zu stellen. Riepe selbst arbeitet im Grenzbereich zwischen Tanz, Performance, bildender Kunst und Musiktheater. Auch der Freiraum sollte Verbindungen schaffen. Aus dem nebeneinander Arbeiten und Experimentieren sollte sich im besten Fall ein Miteinander ergeben.
Ohne Konkurrenz, ohne Druck sollen Künstler*innen hier die Arbeiten anderer Künstler*innen kennenlernen, sich austauschen und voneinander lernen. Oder einfach nur erleben, dass es auch andere Menschen gibt, die das schwierige Überleben in der freien Szene auf ihre Art meistern. So zumindest die Vision. Nur eine etwas blauäugige Utopie?
Einige Jahre später ist der Freiraum ein höchst lebendiger Ort und über Düsseldorf hinaus bekannt. Die beiden Ateliers sind ständig ausgebucht. Nicht nur von szenischen Künstler*innen. Auch bildende Künstler*innen kommen hierher, experimentieren mit dem Raum und großen, temporären Installationen, testen Werkserien in der Hängung, probieren Materialien aus. Ein polnischer Balletttänzer realisiert eine Video-Arbeit zu LGBTIQ*-Rechten in seiner Heimat, während im sonnigen Hof eine Studentin ihre Masterarbeit über Formen des Tanzes im Zusammenhang mit politischen Demonstrationen schreibt. Die Tänzer*innen der Ben J. Riepe Kompanie kommen in der Probenpause zum Essen rüber. Und dann passiert genau das, was Ben J. Riepe erträumt hat: Alle treffen sich am Gartentisch und kommen ins Gespräch.