Beständig anders: Die Musiker von Hall&Rauch

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Eine Kölner Band mit Wurzeln in der Eifel? Eine Eifel-Band, die in Köln beheimatet ist? Eigentlich egal, Schubladen sind sowieso nicht das Ding von Hall&Rauch. Erst recht nicht musikalisch. Sie wissen, im Zweifel finden auf einer Dorfparty sowieso alle zusammen. Seit mehr als zehn Jahren ist das musikalische Kollektiv deshalb vor allem eines: beständig anders.

Mitten in der Eifel, an der Grenze zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ein kleines Stück Nirgendwo mit schöner Landschaft, viel Wald und viel Wind, kleinen Fachwerkhäusern und zahlreichen Erinnerungen. An Bobby, die alte Stammkneipe oder das Jail, das winzige Jugendhaus. Beides gibt es heute nicht mehr. Aber die Bushaltestelle, an der nur selten ein Bus hält. „Wie früher“, sagt Benjamin Adams und nimmt Platz. Neben ihm: Lukas Goersmeyer und Tobias Meyer. Die Gründungsmitglieder von Hall&Rauch. Alle drei sind hier aufgewachsen – in verschiedenen Ortschaften. Kennengelernt haben sie sich im Sportverein und in der Schule. Mit 15 gründeten sie ihre erste Band.

Als „Ruhepool“ bezeichnet Benjamin seine Heimat heute. Auch Tobias kommt und blickt gerne zurück. Eine „Hassliebe“ verbinde er mit der Eifel. Da ist die unbeschwerte Kindheit, das Aufwachsen mit viel Natur – aber auch die Enge, die man fühlt, wenn man sich als Teenager weiterentwickeln, neues kennenlernen will. Diese Enge trieb sie damals weg, alle drei. Nach Köln. Verbunden hat sie immer eines: die Musik.

Seit 2011 gibt es Hall&Rauch. Und anfangs waren sie genau das: nichts Bleibendes, eine flüchtige Erscheinung. Eine Arbeitsgemeinschaft mit einem gemeinsamen Forschungsfeld. Ein Kollektiv, dessen Besetzung ständig wechselt. Je nachdem, welches Projekt ansteht, welche Instrumente gebraucht werden, wer gerade Zeit hat, welche Stimmung gewünscht ist. Gegründet hat sich die Band genauso, aus einer Laune heraus. „Eine Freundin hatte eine Ausstellung in einem Galerie-Offspace und hat uns gefragt, ob wir eine Band kennen, die bei der Eröffnung performen kann“, erzählt Benjamin Adams. Sie haben kurz überlegt und schnell beschlossen: „Wir werden selbst diese Band sein!“ Sie gründeten Hall&Rauch. Ihre Konzerte waren eher Performances, einmalige Ereignisse. Die Musik sehr experimentell. Oder, wie sie es selbst beschreiben: „Unser Forschungsfeld umfasst die Beschäftigung mit Popmusik, lose Klängen und Posen“.

Hall braucht Schall. Und den finden die Bandmitglieder überall in der Musikgeschichte. Auch mal bei einem Spaziergang durch Köln – oder durch Forst Nück. Musikalisch verewigt wurde das kleine Waldstück hinter Benjamins Elternhaus übrigens auf einem der drei Cölln-Alben, die 2017 erschienen. Alles ist erlaubt, kein Genre verboten. Auch Lieder und Bands, die sie selbst gar nicht hören. Wie auf dem aktuellen Album „Happening und Leben“, auf dem sie den rockigen Gassenhauer „Bad Moon Rising“ von Creedance Clearwater Revival in ein elektronisches „Lune Maléfique“ verwandeln. Ihre Lieder entstehen oft aus Soundschnipsel und Ideen, aus Zitaten und Aneignungen. Manchmal entstehen Songs zufällig im Proberaum, manchmal rein elektronisch.

Auf dem Dorf haben sich alle getroffen. Die Punks, die Metaller, die Hip-Hopper, die Charthörer.
Tobias Meyer

Ein musikalischer Eklektizismus, der vielleicht auch seinen Ursprung in der Eifel hat – überlegt Tobias laut. „In der Stadt sind die Subkulturen sehr getrennt, jeder hat seinen eigenen Space – da vermischt sich wenig. Das war hier auf dem Land ganz anders. Da gab es eine Dorfparty und ein Zelt und da haben sich alle getroffen, gezwungenermaßen. Die Punks, die Metaller, die Hip-Hopper, die Charthörer. Man hat sich ausgetauscht und im besten Fall etwas daraus mitgenommen.“ Im Prinzip hat Hall&Rauch also nie damit aufgehört, auf Dorfparties zu gehen. Und es dennoch geschafft, ihrer Musik einen sehr urbanen Sound zu geben.

2018 entschieden Hall&Rauch, dass es Zeit wird für eine neue Entwicklung. Per Plakat suchte die „Kölner Kultband“ neue Mitglieder. Malte Pries, studierter Jazz-Gitarrist, bewarb sich. Genauso wie Leonie Ludwig, die eigentlich auch Gitarre spielt. Da ihr Instrument jedoch schon vergeben war, stieg sie einfach um und spielt seither Bass. Als „große Bereicherung“ sieht sie das heute. „Das Instrument inspiriert mich sehr.“

Mit Malte und Leonie wurde Hall&Rauch entgegen ihrer Definition doch eine Band mit fester Besetzung. „Wir hatten Lust darauf, man kann ja nicht immer alles machen“, erklärt Tobias. „Es ist ja auch schön, sich mal nur auf eine Sache zu konzentrieren, darin besser zu werden und sich weiterzuentwickeln.“ Im September 2021 erschien ihr neues Album, nach zwei Jahren Arbeit. Das erste Werk als feste Band. „Happening und Leben“ ist geradliniger als die Vorgänger. Und: nahbarer. „Das war ein bewusster Schritt“, sagt Lukas. „Homogener zu werden, durchaus auch radiotauglicher.“ Wobei auch ein „homogenes“ Hall&Rauch-Album eines nie ist: berechenbar.

Denn das Album bleibt eine Reise. Durch die Musikgeschichte, durch Genres und Jahrzehnte. Sie führt an verschiedene Orte, in verschiedene Jahrzehnte. In „Côte d’Azur“ etwa in die 80er-Jahre, wo Zuhörer*innen auf schwingenden Gitarrenklängen durch die französische Sonne treiben. Oder der Musterraum, der mit seiner Dub-Tapete eine etwas schräge Jamaica-Illusion erzeugt. Und dann das: ein Gitarrenintro, eine wiederkehrende Melodie. Das Schlagzeug setzt ein, treibt die Melodie nach vorne, raus ins Stadion, rein ins (imaginäre) Publikum. Das schon bald mitsingen, mitgrölen kann: „Mach mich nach!“ Stadiontauglicher Pop-Rock – ein Muss auf jeder guten Dorfparty. Und eben auch „außerordentlich lustig“, wie Lukas singt.

„Ich finde das toll, wenn eine Band einen Sound hat, der unverwechselbar ist“, sagt Benjamin. Es schwingt Bewunderung mit in diesem Satz. Aber auch ein bisschen Verwunderung: Wieso nur diese Festlegung, diese freiwillige Einschränkung? Denn für Hall&Rauch steht schon fest, dass ihr nächster Weg sie wieder ganz woanders hinbringt: Auf die Bühne der Kölner Philharmonie, in der sie in der Konzertreihe „Round, Podium für elektronische Musik“ spielen. Die Idee dazu entstand bereits 2019. Ursprünglich sollte die Aufführung im März 2020 sein. Eine Woche vorher wurde das Konzert coronabedingt abgesagt. Eineinhalb Jahre später wurde es nachgeholt. Wobei nachgeholt nicht ganz das richtige Wort ist – denn das Stück ist mittlerweile ein anderes. Im Stehenbleiben war Hall&Rauch schließlich nie besonders gut.

Durch das Stipendienprogramm „Auf geht’s!“ bekam Malte die Möglichkeit, das Stück weiterzuentwickeln. Über die Corona-Monate entwickelte sich so aus dem ursprünglich geplanten „Konzert für 13 Vögel“ der Liederzyklus „Psychoreo“ inklusive Chor und Streichquartett. „Ich fand das großartig, dass damit nicht nur ich, sondern ganz viele Beteiligte von dem Stipendium profitiert haben“, sagt der Gitarrist. Gemeinsam mit dem Pianisten Camillo Grewe und den anderen Bandmitgliedern schrieb er neue Songs und arrangierte sie für Kontrabass, Cello, Bratsche und Violine. Opulent soll es werden. Und für etwas Opulenz wird es auch Zeit, nach den vergangenen Monaten.

Denn für Hall&Rauch war nicht nur die Pandemie ein großer Einschnitt. „Gerade als es wieder losging, Konzerte wieder möglich waren, kam die Flut“, erzählt Benjamin. Ihre Heimat, zwischen den Flüssen Erft und Ahr, war schwer betroffen. Die Elternhäuser dank Berglage zwar geschützt – aber über Wochen kaum erreichbar. Ihr Proberaum in Brühl soff ab. „Ich bin da tagelang mit Gummistiefel durchgewatet und habe gerettet, was es zu retten gab“, erzählt Benjamin. Doch vieles war nicht mehr zu retten. Seitdem tingeln sie von Raum zu Raum, befreundete Bands helfen immer wieder aus. „Aber es ist schon sehr nervig. Jetzt sind die Gigs da und wir verbringen unglaublich viel Zeit damit, unser Equipment durch die Gegend zu fahren.“

Deshalb feiern sie, was es zu feiern gibt. Vielleicht führt der nächste Weg Hall&Rauch tatsächlich ins Radio, in die Charts. Vielleicht aber wird ihnen dieser Weg doch bald wieder langweilig und sie biegen wieder ab. Wohin? Abwarten. Sicher ist nur: Es bleibt anders.

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