1947 - Die Ruhrfestspiele werden gegründet

BühneRecklinghausenRuhrfestspiele 2024
Der Gründungsmythos der Ruhrfestspiele ist legendär. Im Nachkriegswinter schicken Kumpels Kohle ins Theater nach Hamburg - und bekommen Kultur zurück.

Wie die genauen Einzelheiten abliefen, darüber gibt es verschiedene Varianten. Der Kern der Geschichte aber ist verbürgt, auch wenn diese wie eine schöne Legende klingt: Im schlimmen Nachkriegswinter 1946/47 – das ganze demoralisierte Trümmerdeutschland hungert und friert – machen sich ein paar Repräsentanten der Hamburger Bühnen auf den Weg südwärts ins Ruhrgebiet, weil sie keinen Brennstoff mehr zum Beheizen ihrer Theater haben. In zwei holzgasbetriebenen Lastwagen unterwegs, so geht die Geschichte, wollen sie Kohle „organisieren“, die im Ruhrgebiet mit Hochdruck gefördert wird. Um nämlich in langen Zügen als Reparationsleistung ins Ausland zu gehen.

Aber die Hamburger wollen nicht fringsen (so nennt man den Kleinmengen-Kohlenklau vom Waggon herunter, nachdem der Kölner Kardinal Joseph Frings Verständnis dafür geäußert hat), sondern brauchen andere Mengen. Also steuern sie voller Chuzpe die erstbeste Zeche an, deren Räder sie, von Norden kommend, sich drehen sehen. Nach Auskunft mehrerer Quellen ist dies die Schachtanlage König Ludwig 4/5 in Recklinghausen-Suderwich. Deren Kumpel zeigen sich überraschend hilfreich und laden die LKWs voll – wodurch immer sie sich überreden lassen, Schauspieler, die etwas Hübsches vorführen könnten, sind jedenfalls nicht dabei. Mehrmals füllen sich die Kohlenkarren, bis die englische Militärpolizei das illegale Treiben unterbindet.

Die Retourkutsche fährt im darauf folgenden Sommer 1947. Ob wieder per Holzgaslastkraftwagen, weiß man nicht, jedenfalls rückt fast die gesamte Künstlerschar des Deutschen Schauspielhauses, des Thalia-Theaters und der Hamburger Staatsoper an, um im Recklinghäuser Saalbau Dankgastspiele abzuhalten. Weil die allgemeine Stimmung – weit vor dem Kalten Krieg – nach einer Art sozialistischen Erneuerung schreit, liegt der Ruf nach Arbeiterfestspielen statt solchen in Salzburg nahe. Der mit an die Ruhr gereiste Erste Bürgermeister Hamburgs, Max Brauer, sowie Otto Burmeister vom Deutschen Schauspielhaus bringen die Idee eines Theaterfestivals „inmitten der Stätten harter Arbeit“ in Umlauf. Auch der erste Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Hans Böckler, soll spontan begeistert gewesen sein. Vielleicht hat alle der Slogan des Hamburger Gastspiels, „Kunst gegen Kohle“, zusätzlich beflügelt. Schmeckte das Wort nicht nach der schon in den Reformbewegungen der Jahrhundertwende erträumten Verbrüderung von Geist und Hand?

Wie dem auch sei, schon im darauf folgenden Jahr 1948 gründen der DGB und die Stadt Recklinghausen eine Festspielgesellschaft (1949 tritt das Land Nordrhein-Westfalen als Dritter hinzu), die sogleich das erste Festival organisiert. Jedes Jahr pünktlich mit Beginn am 1. Mai soll es fortgesetzt werden. Zum ersten künstlerischen Leiter der Ruhrfestspiele wird Karl Pempelfort bestellt, ihm folgt Otto Burmeister. Aber nicht etwa Brecht ist der Autor der ersten Arbeiterfestspiel-Eigenproduktion im Jahre 1949, sondern Goethe mit „Faust I“. Auch in den folgenden Jahren dominieren bürgerliche Klassiker und populäre Opern das Programm, die Ruhrfestspiele folgen der restaurativen Tendenz der 50er Jahre und geben sogar dem nazistisch belasteten Schauspieler Werner Krauß (als König Lear) die Bühne frei. Jedoch sind die Eintrittspreise niedrig und es gibt in den Anfangsjahren zahlreiche Initiativen, um genau die Leute ins Ruhrfestspiel-Theater zu locken, die dessen Existenz erst ermöglicht haben: die Arbeiter an der Ruhr.

https://www.ruhrfestspiele.de

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