Film

Steven Spielbergs „Die Fabelmans“

Bei der Berlinale wurde Steven Spielbergs jüngster Film „Die Fabelmans“ vorgestellt. In dem Biopic blickt der 1946 geborene US-Regisseur zurück auf seine Kindheit. Seine Liebe zum Film begann in jungen Jahren und wurde zur lebenslangen Passion.

Er ist kein Rebell, noch weniger ein Revolutionär, vielmehr ein Bewahrer. Aber doch ist er skeptisch, aus dem Wissen, dass die Welt brüchig ist und kein Versprechen enthält. Da steht er einem anderen bedeutenden jüdischen Filmregisseur, dem New Yorker Woody Allen, weniger fern, als man meinen könnte.

Seit seinem Debüt „Duell“ hat Steven Spielberg ein halbes Jahrhundert lang Filme, die erfolgreichsten von Hollywood, gemacht und wurde zum einflussreichsten Regisseur und Produzenten der neueren Ära.

Es gab und gibt drei Spielbergs, den Tempomacher, Abenteuer-, Action- und Horror-Regisseur, der das Kino als reine Bewegung betrachtet: mit „Jaws“ (Der weiße Hai), „Jurassic Park“ und der „Indiana-Jones“-Trilogie. Es gibt den großen Erzähler und Patrioten Amerikas, Erzähler von Geschichte und Judentum. Dem gehören „Die Farbe Lila“, „Lincoln“, „Amistad“, „Der Soldat James Ryan“ und natürlich das Shoah-Mahnmal „Schindlers Liste“. Schließlich gibt es den Träumer, den ewigen Peter Pan, das spielende Kind, den Regisseur von „E.T.“, „Hook“ und „Close Encounters oft the third kind“.

Vielleicht sind seine Filme dann am interessantesten, am tiefsten berührend, aufwühlend und beklemmend, wenn sie an den Schnittkanten dieser drei Künstlerpersönlichkeits-Facetten liegen. Harrison Ford als Indiana Jones und Tom Hanks, Spielbergs Held aus dem geteilten Berlin, „Bridge of Spies“, sind Brüder, der eine als Draufgänger wie in einem John-Ford-Western, der den Nazis den Garaus macht und die alttestamentarische Bundeslade rettet und somit die Zehn Gebote. Der andere als guter Amerikaner und grundehrliche Haut, der die Zehn Gebote alltagspraktisch anwendet und sie getreu der Amerikanischen Verfassung und ihrer Gesetzgeber beherzigt. Oskar Schindler (Liam Neeson) ist die Figur zwischen ihnen. Geschäfts- und Lebemann, aber auch Retter in der Not. Eine ambivalente Figur, die auch Billy Wilder interessiert haben würde.

Spielberg beweist wie kein Filmregisseur sonst, dass Pathos und Naivität zusammengehören.

Kein Regisseur hat uns mehr Tränen weinen lassen: um einen kleinen Jungen und einen Außerirdischen und ihre Liebe füreinander, um den Schwarzafrikaner Cinque, den der Supreme Court frei spricht von seinem Sklavendasein, um die Afroamerikanerin Celie (Whoopi Goldberg) und ihre Selbstbefreiung, um die überlebenden Schindler-Juden und die Millionen Toten. Spielberg beweist wie kein Filmregisseur sonst, dass Pathos und Naivität zusammengehören – auch in seinem neuen, autobiografischen Film.

Das jüdische Kind in „The Fabelmans«, den die Berlinale vorgestellt hat, als sie den 1946 in Cincinnati geborenen Steven Spielberg mit dem Goldenen Ehren-Bären für sein einzigartiges Lebenswerk auszeichnete, ist wiederum ein Grenzgänger. Zwei Welten muss er in sich zur Harmonie bringen. Mit großen Worten gesagt: Kunst und Leben. Der Junge Sammy (Gabriel LaBelle) lässt zwei Züge seiner elektrischen Spielzeugeisenbahn aufeinander rasen, ein Motiv des Katastrophen-Kinos aus der Zeit, als die Bilder laufen lernten, und auch eine spektakuläre Szene in „The Greatest Show on Earth“ von Cecil B. DeMille aus dem Jahr 1952. Sammy sieht den Film, erlebt staunend den „Traum“ Kino, wie seine kapriziöse, selbst in die Künste verliebte Mutter sagt, und spürt zugleich den Alptraum, das Unheimliche. So verfällt Sam bzw. Steven den Movies. Sigmund Freud hat 1919 in einer Studie untersucht, unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen das Vertraute unheimlich und zum Schrecknis werden kann. Sam Fabelman und sein Alter Ego Steven Spielberg machen dieses Beziehungsverhältnis zur Kunst.

Daheim filmt Sam den Kinderzimmer-Crash mit der Super-8-Kamera des Vaters, um das Spiel zu verewigen, und lernt dabei, es zu manipulieren und zu kontrollieren: Master des Entertainments zu sein. Weil der Junge nur wenig technisches Zubehör hat, projiziert er den Katastrophen-Filmschnipsel, als er entwickelt worden ist und er sich auf die Miniatur-Premiere freut, wie nur eben ein Kind sich freuen kann, auf die eigene Handfläche. Die Fabelmans (wir hören darin Namen ‚Fabel’ und ‚fabulieren’ mit) ist geprägt von der Unruhe und Entwurzelung mehrerer Umzüge. Sam und der kleine Elliott aus „E.T.“ haben manches gemeinsam, auch, dass sie in einer Familie aufwachsen, der der Vater abhanden kommt, und in einer der gesichtslosen Suburbs wohnen, wo die Fabelmans Fremdkörper sind. Während die WASP’s Weihnachten feiern und den Christbaum schmücken, steht nebenan der Chanukka-Leuchter im Fenster.

Angstlust ist ein Hauptthema in den Filmen von Steven Spielberg.

Für Sam wird das Kino, in dem er Faszination und Furcht erlebt – Angstlust ist ein Hauptthema in Spielbergs Werk –, zum Fluchtraum und Instrument von Lebenserfahrung. Die etwas holprige, manchmal zudringliche Dramaturgie bewegt sich entlang von Sams Erwachsenerden und ‚Durchblicken’, was auch meinen kann, dass sich dem Blick (der Kamera) etwas Verbotenes zeigt, was besser verborgen geblieben wäre. So erzählt sich,  abgewandelt, der klassische Bildungs- und Entwicklungsroman und seine ‚Nachstellung’ mit eigenen Bildern.

Die Eltern, der Ingenieur Burt (Paul Dano) und die musikalische Mitzi (Michelle Williams), trennen sich, als die Fabelmans nach Kalifornien umziehen. Der Tod der Großmutter; ein Camping-Ausflug und der Highschool-Abschlussball; Onkel Boris (Judd Hirsch), der den Neffen vor der Kunst warnt, die das Leben auffrisst; und der beste Freund des Vaters, Bennie (Seth Rogen), der Sam vor eine andere Realitätsprüfung stellt: Es sind Episoden, die Sam die Wahrheit seiner Familie und die Wahrheit des Kinos vermitteln.

Spielberg erklärt alles zur Magie und zum Verwandlungsmaterial und gibt seinem Sam-Boy den Zauberstab in die Hand: für Actionszenen des Pfadfinders, lustig improvisiertes Horrorgenre (mit bandagierten Geschwistern als Besetzung) oder für den emanzipatorischen Impuls, sich antijüdischer Attacken zu erwehren und – clever und smart – Überlegenheit zu beweisen. Wie Indiana Jones in Teil III hat sein Regisseur den Gral gefunden, der Unsterblichkeit verleiht.

Steven Spielberg: „Die Fabelmans“

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Steven Spielbergs „Die Fabelmans“

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