Auf einem Feld erkennt sie an einer Vogelscheuche eine alte Jacke ihres Vaters. Sie, deren extravaganter und kapriziöser Stil sich nicht nur mit Versace verbindet, scheint in dem ausgemusterten Kleidungsstück auch den Verlust einer ursprünglichen Unschuld zu sehen. Auf dem königlichen Anwesen gehen Feierfreude und Frömmigkeit eine eigenwillige Allianz ein. Bei den Teilnehmern wird das Gewicht festgestellt, das nach dem Christmas-Schlemmen während dieser Tage zugelegt haben soll. Die Prinzessin, die an Bulimie leidet, hat sich der Prozedur ebenfalls zu unterziehen. Sie fühlt sich wie eine Dekorationspuppe, die Kleider zu tragen hat, die ihren privaten Körper verbergen, ihn neutralisieren, um nicht zu sagen: ihn vernichten.
Schon die brillant inszenierte, Fact und Fiction amalgamierende Netflix-Serie „The Crown“ arbeitet sich an einem Grundkonflikt ab: Wofür stehen die Königin und die Mitglieder des Hauses Windsor-Mountbatten? Sie sind (gerade auch im Selbstverständnis) eine Bastion gegen die Verbürgerlichung, die öffentliche Meinung und individuelle Präsentation als Mensch wie Du und Ich, sie behaupten sich als formale Existenz, die etwas Undurchdringliches, Abweisenden und Abwehrendes und darin Unmenschliches hat, das sich im Anders-Sein erfüllt und darin seine ‚ewige’ Gültigkeit erfahren soll.
„Die Prinzessin der Herzen“, ein Titel, den, so haben wir es in Stephen Frears’ „The Queen“ erfahren, der Labour-Premier Tony Blair kreiert hat, ist und tut das Gegenteil. Sie wählt das Populäre (ja, wird zeitgemäß zur Pop-Ikone) – und kommt dadurch um. Charles (Jack Farthing) ist ganz der Muttersohn, wenn er ihr entgegenhält: „the people don’t want us to be people“. Diana versucht die Synthese aus Nähe und Distanz – und scheitert.
Die Theorie des zweifachen Königskörpers, des zeitlosen Symbols und der realen Person, der unsterblichen Institution und des Normalsterblichen wirkt auch in Pablo Larraíns intelligenten Film über Lady Diana hinein, der sich konzentriert auf das Weihnachtsfest, das zehn Jahre nach der Eheschließung mit dem Prince of Wales) stattfindet, um das Trauerspiel einer fatalen Verbindung zu entfalten. Die Vorstellung Diana Spencers und diejenige der Royals, zu denen sie kein Verhältnis fand bis in den Tod hinein und über den Tod hinaus, waren unvereinbar.
Diana öffnet den Goldenen Käfig zu jedermanns Ansicht, aber bleibt selbst in ihm gefangen und wird als filigraner Paradiesvogel zur Jagd freigegeben. Insofern ist der Disput, den sie in „Spencer“ mit Charles und dem von ihm repräsentierten System darüber führt, ob ihre beiden Söhne in die Tradition der Fasanenjagd wie in einen Initiationsritus eingeführt werden sollen, auch Reflexion ihres eigenen Schicksals, das 1997 in Paris nach einer Flucht vor Fotografen enden wird. Die filmdramatische Erzählung erlaubt sich hier einen Augenblick der Komik, wenn im Kontrast zu dem edlen Fasan ein gewöhnliches Brathähnchen in einem ordinären Fastfood-Restaurant den Sieg der Mutter über Etikette und Hofzeremoniell verkörpert.
Eine weitere starke Setzung unternimmt der Regisseur, der bereits Sinn für das Symbolische in seinem Film über „Jackie“ Kennedy, spätere Onassis bewies, indem er Lady Di sich mit einem Buch über Anne Boleyn beschäftigen lässt. Heinrich VIII. hatte sie zu einer seiner Ehefrauen und zur Königin gemacht, bevor der Monarch die Mutter der künftigen Elisabeth I. 1536 aufs Schafott bringt und über diesen Fall mit dem katholischen Rom bricht und sich ans Haupt der Englischen Hochkirche setzt.
Aus solchen Momenten, konkreten Handlungen und eine höhere Ordnung annehmenden Zusammenhängen baut Larraín sein Psychodrama „Spencer“, das sich ganz und gar auf die eine Person bezieht. Eine Gefährdete, die Gefahren bringt: Wie sehr sie stört, abzustürzen droht, die Grenze übertreten könne, sie, der am Hofe unterstellt wird, sie würde „cracking up“, davon erzählt „Spencer“, davon, dass das Herz ein einsam gejagtes Wild ist.
„Spencer“, Regie; Pablo Larraín, GB / D 2021, zwei Stunden