Kunst

„Shift – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ im Marta

17.06.2023 - 15.10.2023
Die Ausstellung fragt nach Möglichkeiten und Grenzen der Künstlichen Intelligenz. Dazu versammelt sie Arbeiten von neun internationalen Künstler*innen und Kollektiven, die selten selbsterklärend sind.

Was kann die KI, was nicht? Wo liegen Chancen und Gefahren dieser jüngsten Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts? Fragen, die sich allenthalben aufdrängen und auch in der Kunst laut werden. Welche ethischen Risiken birgt der technische Fortschritt? Ist er Verhängnis, oder könnte er auch Rettung sein? Anschaulich werden die gemischten Gefühle im Video von Kennedy + Swan, wenn im menschlichen Körper ein Xenobot seine Bahnen zieht – ein biologischer Mikroroboter, der sich als wandernder Knubbel unter der Haut abzeichnet. Diese gruselige Vorstellung liegt gar nicht so fern. Denn das Werk des Künstler*innenduos reflektiert ganz aktuelle technologische Entwicklungen und entstand in Austausch mit US-Forschern, denen es unlängst gelungen ist, Stammzellen des afrikanischen Krallenfrosches mit künstlicher Intelligenz zu programmieren. Ihre Hoffnung: Die hybriden Wesen könnten dereinst im Körper als Kämpfer gegen Krebszellen aktiv werden oder das Mikroplastik aus den Weltmeeren fischen. Ideen, die einem den vermeintlich bedrohlichen Fremdling unter der Haut plötzlich sympathisch machen.

 KI als Kumpel. Diese positive Sicht soll nicht zu kurz kommen in Herford. Das klingt schon im Titel an: »Shift« heißt die Schau, weil sie vom »Wechsel« handelt. Wohin er führen mag, deutet der doch eher hoffnungsfroh klingende Untertitel an »KI und eine neue Gemeinschaft«. Eine Gemeinschaft von Menschen und hilfsbereiten Xenobots vielleicht? Bei der Auswahl der neun Positionen haben die Kuratorinnen vom Marta in Herford und vom Kunstmuseum Stuttgart, wo die Ausstellung bis in den Mai lief, auf möglichst vielfältige Herangehensweisen Wert gelegt. Das Spektrum reicht von Algorithmen, die bei Amazon die Arbeitsprozesse von Menschen überwachen, bis zur speziellen Intelligenz von Schleimpilzen, die der KI-Forschung neue Wege aufzeigen könnte. Außerdem erwartet einen Marlene Dietrich in 3D zu neuem Leben erwacht, man kann beobachten, wie digitaler Abfall von Kryptowährungen recycelt wird und wie Daten zur Polizei-Gewalt in den ekstatischen Tanz einer Horde von Uniformierten einfließen.

Für die meisten Arbeiten im Marta gilt dabei: Verständlich werden sie erst, wenn man die komplexen Hintergründe kennt. Vor dem sinnlichen Kunst-Erlebnis kommt der wissenschaftliche, technologische Background. Das gestaltet die Sache mitunter etwas mühsam, wäre aber wohl kaum anders machbar. Denn es geht hier nicht in erster Linie um Werke, die künstliche Intelligenz als Werkzeug nutzen. Auch wenn viele dies tun, geht es der Schau viel eher darum, das Thema als solches insgesamt zu reflektieren. Zum Beispiel mit Blick auf eine gespenstische Porträtgalerie der US-Künstlerin Heather Dewey-Hagborg. Zig unterschiedliche Gesichter, die an dünnen Fäden von der Decke hängen und allesamt per Algorithmus aus der DNA eines Haares erschlossen wurden. Können Maschinen vielleicht bald schon Identitäten entschlüsseln? Ein Szenario, das weit hinausgeht über die bisher schon alltägliche Auswertung von persönlichen Daten, die durch KI immer einfacher und differenzierter wird.

In solchen Arbeiten rücken Kunst und Wissenschaft nah zueinander. Künstler*innen nutzen KI die KI nutzen und kritisch kommentieren wollen, suchen Anschluss, weil sie sich auskennen müssen mit der komplexen Materie. Und die Wissenschaft tritt in Kontakt mit der Kunst, weil sie sich von ihr wohl neue Blickwinkel erhofft. Wie das Miteinander aussehen kann, zeigt in Herford auch Christian Kosmas Mayer, der als Artist in Residence an einem interdisziplinären Forschungsinstitut den Vokaltrakt einer 2000 Jahre alten ägyptischen Mumie untersucht und rekonstruiert hat. Im Marta macht er die synthetisierte Stimme mit einer Batterie von Boxen hörbar und lässt damit das große Thema der Unsterblichkeit anklingen.

 Mit KI eröffnen sich da ganz neue Möglichkeiten. Durch trainierte Roboter, die, mit diversen persönlichen Daten gefüttert, Stimme, Sprache, Mimik, Gestik, ja bis zu einem gewissen Grad sogar die Denkweise einer verstorbenen Person rekonstruieren und sich so gerüstet einem menschlichen Gegenüber als Gesprächspartner anbieten könnten. Wollen wir so etwas zulassen? Das bleibt die Frage.

Mehr Infos gibt es hier.

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„Shift – KI und eine zukünftige Gemeinschaft“ im Marta

17.06.2023 - 15.10.2023

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