Film

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ von Céline Sciamma

Céline Sciamma leuchtet in ihrem Historiendrama aus dem 18. Jahrhundert die Beziehung, die geraubte und gewährte Autonomie der beiden Protagonistinnen aus – und ihrer eigenen Rolle als Regisseurin.

„Das erklärt die Blicke.“ Sagt Héloise und meint Marianne. Aber nicht ganz. Marianne soll ein Porträt von Héloise malen, ohne dass die Porträtierte merken darf, dass sie auf die Leinwand gebracht werden soll. Die Blicke sind die einer beauftragten Künstlerin, einer Frau auf eine Frau, einer Liebenden auf eine Geliebte. Das Bildnis ist bestimmt für den zukünftigen Ehemann in Mailand, nachdem Héloises Schwester sich umgebracht hat und die jüngere von der verwitweten Mutter aus dem Kloster als Ersatz-Braut heim auf die Insel vor der bretonischen Küste geholt wird. Ein Adelshaushalt ohne Männer: nur die Comtesse, ihre Tochter, Zofe Sophie, schließlich der Gast.

Die Geschichte ist eine, wie sie Jane Campion auch erzählt haben könnte. Oder eben die 1978 geborene Französin Céline Sciamma es tut. Wie in „Bande de filles“, der weit entfernt davon ist, Sozialdrama aus der Pariser Banlieu zu sein, sondern sich faszinieren lässt von der Anziehungskraft, Aura, Ästhetik und dem erotischen Fluidum junger Frauen, leuchtet die Filmemacherin auch in dem Historiendrama aus dem späten 18. Jahrhundert die Beziehung, die Intimität des Sehens und Gesehen-Werdens, die geraubte und gewährte Autonomie der beiden Protagonistinnen – und ihrer eigenen Rolle als Regisseurin aus.

Die dunkelhaarige Marianne (Noémi Merlant), die in einer zeitlich einige Jahre später liegenden Rahmenhandlung an einer Malschule unterrichtet, ist eine selbstbewusste, selbständige Frau des Ancien Régime, das solche Frauen kannte, die – ins Böse gewendet wie Choderlos de Laclos’ Marquise de Mertueil – mit ihrer geistigen Überlegenheit und sozialen Unabhängigkeit Männer das Fürchten lehrten.

Die blonde Héloise (Adèle Haenel) verweigert sich dem Zugriff. Dem ersten Porträt, das Mariannes Vorgänger anfertigte, fehlt der Kopf – da ist eine Leerstelle. Das zweite wird von Marianne selbst vernichtet, nachdem sie es Héloise gezeigt hat. Das dritte darf bestehen bleiben, weil die Liebe und der Herrschafts-Anspruch derjenigen, die gemalt und ins Bild gebannt werden soll, die Hand geführt und das Auge gelenkt haben. Der Liebe hier wohnt das genaue Betrachten der Anderen inne: deren körperliche Beschaffenheit und seelisches Befinden. So geht es auch um Verlangen – im doppelten Sinn. Beide Frauen stehen in Flammen: Einmal sogar wird diese Metapher konkret, als Héloises Kleid während eines Dorffests Feuer fängt.

„Porträt einer jungen Frau in Flammen“ – die Herbheit der Atlantikküste aufnehmende, kluge feministische Studie ohne theoretische Anstrengung – geht besonnen, Ruhe verströmend und Schmerz bewahrend der Liebe auf den Grund: den Geist des Zeitalters der Aufklärung einfangend, um ihn für heute zu wahren.

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