
Den CEO und sein Milieu, Mechanismen und Praktiken des Medienkonzerns und seiner ‚Eliten’, deren Rituale und Zeremonien durchleuchtet Rainald Goetz in seinem Roman. Und setzt sie grell ins Licht: die „Vergesellschaftung der Niedertracht“, „korrupte Kollegialität“, giftige Erblasten aus der DDR, euphorisierten Größenwahn, Gerissenheit, Gier und den Raubtierinstinkt für Gegner, aber mehr noch für die in der Dominanzhierarchie Ranghöheren.
Dabei kolportiert, persifliert, zelebriert der Autor – angeekelt genüsslich – den Jargon der Eigentlichkeit dieser weltlosen Firmenwelt. Thewe, die anfangs geschasste Führungskraft des Tochterunternehmens Arrow PC im thüringischen Krölpa, begeht Suizid. Einen Spalt weit tut sich da der Abgrund auf, in den Holtrop stürzen wird, nachdem sich ihm allmählich die cäsarische Gunst entzieht. „Holtrop war Ungeziefer geworden.“ Vorletzte Station: die Psychiatrie, danach noch mal das Hochgefühl als internationaler Finanzakrobat, dann die Entehrung, dann das Ende.</p><p>Ein kurzes Zeitalter (die drei Teile folgen den Zäsuren 1998, 2002, 2010) und seine spätkapitalistische Hybris wird besichtigt. „Johann Holtrop“ als Zeit- und Zerrbild sowie als Psychogramm verbindet sich, indem das Buch den Namen der Hauptfigur trägt, einer Tradition, die von „Barry Lyndon“, „Wilhelm Meister“ und „Martin Salander“ zu den „Buddenbrooks“ und dem „Mann ohne Eigenschaften“ reicht. Anatomie der menschlichen Destruktivität. Goetz, der, wie von sich selbst überwältigt, in investigativer Lanz-Attitüde schreibt, verfügt über kluge Menschenkenntnis, aber nicht über das Gespür, um sein Personal, voran Holtrop, aus der Gleichgültigkeit, die der Leser für sie empfindet, zu erlösen.
Was tun mit dem Stoff auf dem Theater? Stefan Bachmann beantwortet in Köln diese Frage mit einer Gegenfrage: Wollt ihr die totale Form? Ein feinmaschiges Gitterwerk strukturierte als Koordinatensystem bereits die Bühne für Bachmanns Inszenierung von Goetz’ „Reich des Todes“ von 2021, ebenfalls eine Koproduktion zwischen den Schauspielhäusern Düsseldorf und Köln. Wiederum sind von Olaf Altmann Schnüre aufgezogen – sie lassen an Rilkes Gedichtzeile denken: „Und hinter Stäben keine Welt“. Nicht das einzige Déjà-vu der Aufführung, die das Wiederholungsmuster zur Methode erklärt: also alle Rollen weiblich besetzt, ihnen (mit einem Begriff des Marxismus gesagt) Charaktermasken anpasst, um sie mittels der Larven zu enttarnen. Das Sprechen ist in Taktung gezwungen, auf dass Silben, Worte, Sätze gewissermaßen die Beine werfen. So übersetzt Bachmann das Banale in diesem „Abriss der Gesellschaft“ in motorische Monotonie. Das Textmaterial wird überspielt.<br><br>Melanie Kretschmann als Holtrop posiert unter adretter Blondhaar-Kurzfrisur vor allem elastisch mit Hüftschwung: die reine Fassade. Um sie herum Strippenzieherinnen, Zappelphilippas und Sprechautomaten mit pantomimischen Leibes- und Fingerübungen, mal als Chor der Reinigungskräfte oder Anzugträger, mal als befrackte Vorstands-Mumien, solistisch als Tipp-Mamsell, Pariser Garçon, Arzt-Attrappen, erotische Sensation oder freundliche Holtrop-Ehefrau.<br><br>Bachmann kehrt, als Goetz-Erfolgsregisseur gewiss unbeabsichtigt, die Schwächen hervor, indem er die vorgeblichen Stärken betont und – kammermusikalisch unterstützt von einem Salon-Quartett – das Satirische verabsolutiert.