Film

Auf schwankendem Boden: Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „Auf der Adamant“

In seinem Film „Auf der Adamant“ nimmt der Franzose Nicolas Philibert das Publikum mit an Bord eines ungewöhnlichen Schiffes. Es liegt am Seine-Ufer mitten in Paris und beherbergt eine Tagesklinik für Menschen mit psychischen Störungen. Für seine Langzeitbeobachtung hat Philibert bei der diesjährigen Berlinale den Goldenen Bären erhalten – für einen Dokumentarfilm ungewöhnlich genug.

Der schwankende Boden ist keine schlechte Metapher für das Krankenbild der Tagesbesucher: Sie haben psychische Probleme, sind nur eingeschränkt tauglich für die allgemeine Forderung des Tages, erhalten therapeutische Ansprache und Begleitung und dürfen und sollen sich kreativ betätigen, allein oder in Workshops. Die einen spielen in der Gruppe, andere musizieren, dichten, malen und zeichnen, nähen und kochen, erläutern ihre künstlerische Arbeit, veranstalten ein Filmfestival.

„Gespräche sind sehr schwer.“ Aber zu reden ist ein nahezu unaufhaltsames Bedürfnis. Wahn und Wirklichkeit sind nicht immer genau voneinander zu scheiden. Stimmen, Schwingungen und Unheilvolles verfolgen und treffen sie, von denen sie berichten und die sie in einem Grad empfindlich und labil sein lassen, dass sie der Welt, wie sie ist, schwerlich oder gar nicht gewachsen sind. „Ich habe meine Freiheit verloren“, flüstert eine alte Frau in duldender Gewissheit. 

„Die menschliche Bombe hältst du in der Hand, der Zünder ist gleich neben dem Herzen...“ So singt François, ein 57-jähriger Mann im blau karierten Hemd mit grauem Haar, der kaum noch Zähne im Mund hat, singt eindringlich und wie unter Druck, als müsse der Text unbedingt raus, raus, raus. Wenn man sich den Aufruhr, die Erregungszustände und Störfälle vergegenwärtigt, wie sie „Auf der Adament“ nicht nur in dem Chanson zu Gehör kommen, ließe sich eher vorstellen, das altmodisch schöne hölzerne Schiff befände sich auf stürmisch hoher See und nicht, dass es ruhig vor Anker liegt an den Quais des rechten Seine-Ufers. Um die Insel im Strom flutet der Verkehr der Metropole Paris.

Von Zuneigung getragene Schicksals-Betrachtungen über Menschen auf ihrer „Trauerlaufbahn“

Jemand erzählt von Vincent van Gogh und dessen Bruder Theo sowie von zwei Figuren aus Wim Wenders’ „Paris, Texas“ und dass für das Männer-Paar Travis und Walt er selbst und sein Bruder Vorbilder gewesen seien, ohne dass dies je erwähnt worden wäre. „Man versetzt sich in andere und glaubt, dass man so davonkommt.“ Ein sogenannter Gesunder könnte dies wohl ebenso sagen.

 Manchmal nimmt die Kamera die Bewegungen des Flusses in den Blick, als würde sie im Licht, das Reflexe bildet, sich spiegelt, Schatten wirft auf die Wände des Schiffs und im Wasser sein geisterhaft blendendes Spiel treibt zwischen Schwinden und Erscheinen, ein Synonym für die Seelen derjenigen entdecken, die unter Verschluss sind und gleichwohl sich doch einen Spalt weit öffnen an diesem Zufluchtsort.

Regisseur Philibert schaut und hört einfach zu: voller Langmut, um dieses außer Mode geratene Wort zu benutzen. Er macht seinen Film so, wie W.G. Sebald seine Bücher geschrieben hat: vorsichtig genaue und präzise, erstaunte und erschrockene, vom Befremden wie von Zuneigung getragene Schicksals-Betrachtungen über Menschen auf ihrer „Trauerlaufbahn“. Zu entdecken gibt es bei den Passagier-Patient*innen eine berührende, auch beunruhigende Art des Insistierens auf einem Thema, oft eigenwilligen Humor und schrägen Witz, eine Poesie für ihr anders eingestelltes Leben, ihre écriture automatique und Leuchtspur einer speziellen Intelligenz.

 

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Auf schwankendem Boden: Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „Auf der Adamant“

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