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Mit „Allein im Rosa Winkel“ haben Regisseur Marvin Wittiber und sein Team im November 2024 einen Intensiv-Theaterworkshop ins Leben gerufen, in dem sich Jugendliche und junge Erwachsene mit der Verfolgung von Homosexuellen in Düsseldorf während des Nationalsozialismus auseinandersetzten. Im Februar – passend zur Bundestagswahl – geht die Reihe in die nächste Runde: Der zweite Intensivtheater-Workshop setzt einen neuen Schwerpunkt und beschäftigt sich mit der Verfolgung queerer Menschen in Düsseldorf nach 1945. Auch dieses Mal erforschen Jugendliche und junge Erwachsene queere Biografien und setzen sich künstlerisch in ein Verhältnis. Bis zum 9. Februar können sich Menschen – mit und ohne Theatervorkenntnisse – zwischen 16 und 27 Jahren für die kostenlose Teilnahme anmelden. Wir haben mit dem Regisseur und zwei Teilnehmerinnen des letzten Workshops gesprochen, die auch beim zweiten Teil „Nach dem Rosa Winkel“ mitwirken. Wie haben sie den Theaterworkshop erlebt? Was ist geblieben? Und warum wollen sie weitermachen? Darüber erzählen Ari Rexha, 21-jährige Studentin der angewandten Kulturwissenschaften aus Dortmund und Leni Kebe, 18-jährige Abiturientin aus Duisburg, im Interview.
Im Februar folgt nach „Allein im Rosa Winkel“ der zweite Teil des Projekts unter dem Titel „Nach dem Rosa Winkel“. Wie kam es zu der Fortsetzung und was ist das Thema des zweiten Intensiv-Theaterworkshops?
Marvin Wittiber:
Erfreulicherweise war unser erstes Projekt „Allein im Rosa Winkel“ sehr erfolgreich, es gab sehr viel Wertschätzung und Aufmerksamkeit. Dieses Jahr ist ein besonderes Jahr, denn wir gedenken der Befreiung von Auschwitz und dem Kriegsende vor 80 Jahren. Die Stadt Düsseldorf hat dafür ein Gedenkveranstaltungsprogramm kuratiert und ich bin gefragt worden, ob wir nicht einen Teil zu diesem Programm beitragen wollen. Queeres Leben spielt im Gedenken an den Nationalsozialismus nach wie vor eine extrem untergeordnete Rolle. Unser Konzept behalten wir bei und legen einen neuen Themenschwerpunkt: Wir beschäftigen uns jetzt mit den Kontinuitäten in der Verfolgung und Diskriminierung von queeren Menschen in Düsseldorf nach 1945, der Fortsetzung im Nachkriegsdeutschland, in das der verschärfte § 175 mitgenommen wurde – übrigens als einziger verschärfter Paragraph aus dem Nationalsozialismus.
Wie sieht dieses Konzept genau aus?
Marvin Wittiber:
Wir machen einen Intensiv-Theaterworkshop, setzen uns also thematisch mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 27 mit der Grundlage auseinandersetzen und kreuzen sie mit einem künstlerischen Zugang über Theater, Texte und Musik. Das Ziel ist, dass sich die Teilnehmenden ins Verhältnis setzen zu den Biografien und queeren Lebensrealitäten von 1945 bis in die 60er-Jahre hinein. Wir freuen uns, dass wir drei Jugendliche und junge Erwachsene aus dem ersten Projekt auch für den zweiten Teil gewinnen konnten und sind gespannt auf neue Gesichter!
Zwei dieser Teilnehmer*innen sind Ari Rexha und Leni Kebe, die schon beim ersten Teil dabei waren. Was war der Motivationsgrund, bei „Allein im Rosa Winkel“ mitzumachen?
Leni Kebe:
Ich wusste noch nicht viel über das Thema, wollte aber unbedingt mehr erfahren und fand die Art und Weise der Auseinandersetzung spannend. Aus der Schule kenne ich es ja nur so, dass man dort sitzt und sich die Sachen aufschreibt und ich finde es schön, Wissensgewinn mit Theater zu verknüpfen.
Die Verfolgung von Homosexuellen während der NS-Diktatur ist zwar ein wichtiges, aber kein leichtes Thema. Gab es im Vorfeld Sorgen darüber? Und wie hat der Workshop darauf reagiert?
Ari Rexha:
Ich kannte bis zu dem Workshop nur ein paar YouTube-Videos und wenig Fakten – vor allem zu der Situation in Düsseldorf wusste ich gar nichts. Ich hatte persönlich keine großen Berührungsängste, obwohl das Thema so schwer ist: und das war es natürlich auch stellenweise im Workshop. Unter anderem als wir erfuhren, wie jung die Verfolgten eigentlich waren. Aber das Setting hat das aufgefangen: Wir waren nicht alleine, konnten direkt in den Austausch gehen und dadurch, dass wir die neu gewonnenen Erkenntnisse in textlicher Form verarbeiten konnten, hatten wir direkt ein Mittel, um uns tiefergreifend mit dem Thema zu befassen, ohne dass es in uns zu brüten begann und wir es nicht rauslassen konnten.
Was ist von dem Projekt besonders hängen geblieben?
Marvin Wittiber:
Für mich war der Moment sehr prägend, als wir unsere Bausteine das erste Mal auf der Bühne zusammengesetzt haben. Das ist eine besondere Art des Arbeitens: Es ist eine pädagogische Arbeit, ein Zusammensetzen, aber auch Inszenieren, die künstlerischen Fäden miteinander verweben. Der Moment, als wir zum ersten Mal alles auf eine Bühne gestellt haben, Körper auf Musik und die Texte der Jugendlichen getroffen sind, hat mich und mein Team sehr bewegt.
Leni Kebe:
Was mir auch noch sehr hängengeblieben ist, ist der Schreibworkshop. Wer wollte, durfte den eigenen Text freiwillig vorlesen und am Ende haben wir alle gelesen, weil wir uns so wohlgefühlt haben. Diesen Moment fand ich unglaublich schön, weil er gezeigt hat, wie sehr wir als Gruppe zusammengewachsen sind und welche unterschiedlichen Perspektiven wir haben.
Ari Rexha:
Wir haben uns auch Dokumentationen und Interviews angeschaut, darunter mit Menschen, die im Nationalsozialismus bereits unter § 175 gelitten haben und auch nach 1945 nicht frei leben konnten, sondern bis ins hohe Alter unter Diskriminierung litten. Diese Geschichten zu hören von den Menschen, die ihr ganzes Leben verfolgt wurden, fand ich sehr berührend. Deswegen finde ich es umso schöner, dass wir den Workshop jetzt noch weiterführen, da wir nun diese Geschichten in den Mittelpunkt stellen können.
Was sind weitere Motivationen, auch beim zweiten Teil „Nach dem Rosa Winkel“ mitzumachen?
Ari Rexha:
Für mich ist es persönlich wichtig, weiterzumachen, weil ich glaube, dass vielen Personen (ich eingeschlossen) nicht bewusst ist, wie die Zeit für Homosexuelle, aber auch für andere verfolgte Gruppen nach dem Nationalsozialismus wirklich aussah – in Deutschland oder in Düsseldorf. Welche Änderungen hat das Kriegsende mit sich gebracht, welche aber nicht – und was ist so geblieben, wie es im Nationalsozialismus war? Gerade wenn wir uns die aktuelle politische Lage angucken und sehen, dass rechte Stimmen immer lauter werden und die Queerfeindlichkeit in den letzten Jahren gewachsen ist, ist es so wichtig, diese Perspektiven zu zeigen. Wir müssen für die Befreiung und Menschenrechte immer weiterkämpfen.
Leni Kebe:
Das kann ich nur unterstreichen. Und ich habe auch eine emotionale Verbindung zu dem ganzen Projekt, weil ich meinen eigenen Text und meine persönlichen Erfahrungen habe einfließen lassen. Es ist ein Teil von mir. Und es war besonders schön zu sehen, wie sehr Menschen im Publikum schon beim letzten Mal berührt waren, auch wenn sie vielleicht selbst bis dahin keine Berührungspunkte mit dem Thema hatten.
Marvin Wittiber:
Für mich hat das Thema in kurzer Zeit, seit „Allein im Rosa Winkel“ bis jetzt, an einer Dringlichkeit zugenommen, die mich wirklich stark beschäftigt. Aber sie lähmt mich nicht, sondern schlägt in Aktivismus um: Die Zeit ist vorbei, in der wir uns darauf ausruhen konnten, dass man in den letzten 80 Jahren für uns gekämpft hat. Unsere Aufführungen sind am Wochenende der Bundestagswahlen. Jetzt ist die Zeit gekommen, in der wir kämpfen müssen!
Termine
Workshop:
15. + 16.02., 10-18:00 Uhr
20.02., 18-22:00 Uhr
21.02., 13:30-17:30 Uhr im Theatermuseum Düsseldorf
Abschlusspräsentation:
21.02. + 22.02., 19:30 Uhr im Theatermuseum Düsseldorf
Anmeldungen für den Workshop bis zum 09.02. an mail@wittiber.de