„Ich habe ehrlich gesagt nicht wirklich eine Ahnung, was Dokumentarfotografie ist“, sagt Tobias Zielony in einem Interview. Dennoch ist es gerade der lapidare, beschreibende Stil, der seine Bilder so faszinierend macht. Bilder, die daherkommen wie Schnappschüsse und die doch inszeniert sind. Tobias Zielony ist heute einer der meistdiskutierten deutschen Fotografen der jüngeren Generation. Seine Bilderserien handeln von jungen Leuten und ihrem Alltag, ihrer Mode, ihrem Abhängen und ihrem sozialen Leben in den seltsam unwirtlichen städtischen Zwischenräumen, in denen die Jugendlichen sich eingerichtet haben. Plätze, an denen sie sich treffen und zur Schau stellen, die sie „mit Gesten und Klamotten füllen müssen“.
„Car Park“, „Curfew“, „Chemnitz“, „Tankstelle“, „Big Sexyland“ oder „Vele“ heißen Zielonys Foto-Serien. Das in Berlin fotografierte Projekt „Jenny, Jenny ...“ (2011-2013), zu dem auch zwei fotografische Animationsfilme gehören, handelt von jungen Frauen, von denen einige ihr Geld mit Sexarbeit verdienen. „Doch die Realitäten und Rollen sind fließend“, heißt es in der Ausstellungsankündigung der Berlinischen Galerie, wo dieses Projekt 2013 erstmalig gezeigt wurde. Seiner eigenen Rolle ist sich der Künstler dabei sehr bewusst. Die Frage, „welche Posen werden abgerufen, wenn ein Fotograf auftaucht“, stellt sich Zielony immer. Bei „Jenny Jenny“, so sagt er in einem Interview, „geht es aber auch um Begehren und die Produktion von Begehren. Natürlich bin ich auch ein Akteur in diesem Spiel: Wie stellen sich die Frauen dar, wie wollen sie gesehen werde. Die subjektive Fotografie Zielonys unterläuft traditionelle dokumentarische Strategien.
Er findet seine Motive in Situationen, in denen Menschen beisammen sind. Manchmal sind es nur Blicke, Haltungen, Gesten, ein Wegschauen. Da wird geraucht und geredet, geschaut oder geknutscht, gepost und geschnüffelt. Die Fragen der Erwachsenen sind andere. Parkhäuser und Hauseingänge, urbane Brachen und Straßenecken sind die beliebtesten Orte der Jugendlichen. Gefunden hat Zielony sie in Newport, Halle und Marseille, in Neapel, Los Angeles, Bristol und Winnipeg, der Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba. Aber es hätte genauso gut auch irgendwo anders sein können. Denn wovon diese intensiven Bilder auch handeln, eine gewisse Austauschbarkeit ist ihnen eingeschrieben – auch wenn die Accessoires und Codes mitunter variieren. Kulturelle Unterschiede sind an der Jugend unserer globalisierten Welt kaum mehr auszumachen.
Man kann allerdings auch noch genauer hinsehen. Dabei sind die kurzen Texte, die der Künstler zu manchen seiner Serien schreibt, ein wichtiger Bestandteil. „Sie erzählen nicht die individuellen Geschichten der Menschen auf den Fotografien und versuchen auch nicht, die Bilder kunsttheoretisch zu interpretieren“, so Zielony. Es gehe vielmehr darum, zusätzliche Informationen über die politische und wirtschaftliche Situation der Orte zu geben. Kein Soziologe sei er, betont Zielony. „Mich interessiert allerdings sehr, wie das Phänomen des Herumstehens, des Nichtstuns in politischen und ökonomischen Strukturen einbezogen werden kann.“ Die Serie „Curfew“ (Ausgangssperre) z.B. findet ihr Personal im Dämmerlicht. Nach 21 Uhr hatte die Polizei von Bristol über einige Jugendliche eine Ausgangssperre verhängt; Zeichen einer veränderten Sicherheitspolitik: „Die Jugendlichen werden nicht länger als gefährdet definiert, sondern werden selbst zu gefährlichen Subjekten.“ Diese politische und gesellschaftskritische Dimension bildet Zielony in seinen Bildern immer mit ab.
Während seines Studiums der Dokumentarfotografie in Newport, Wales, hat Zielony die Regeln und bildjournalistischen Strategien der klassischen Reportage-Fotografie gelernt. Aber er wollte weitergehen. Die Entscheidung, anschließend noch in Leipzig zu studieren, sei auch eine gegen die Arbeit als Bildjournalist und für den Kunstkontext gewesen. Seine Bilder sind mehr als nur Sozialreportage. Nach dem Studium in der Fotoklasse von Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig zog es Zielony nach Berlin. Hier waren seine ersten größeren Ausstellungen zu sehen. Schon seine frühen Fotografien handelten von Jugendlichen in den Vorstädten. Zugleich thematisierten sie aber auch die Orte selbst, das Viertel Knowle West in Bristol, die Plattenbausiedlung von Halle-Neustadt oder die Quartiers Nords in Marseille. Lebensräume, die von keiner städtebaulichen Utopie mehr beseelt und zu einer Art „autonomen Stadt in der Stadt“ geworden sind.
Was passiert, wenn institutionelle und soziale Strukturen zerfallen und die Menschen an den Rand gedrängt und sich selbst überlassen bleiben? Was tun die Nachfahren kanadischer Ureinwohner in den Reservaten Manitobas, deren Tradition und Zukunftsperspektive zerstört wurde (Manitoba, 2009)? Oder die Jugendlichen einer ehemaligen Industriestadt in der Wüste Kaliforniens, wenn die einzige Beschäftigung der Bewohner darin besteht, sich mit Crystal Meth zu betäuben (Trona, 2008)?
Die Orte, die Zielony aufsucht, sind nicht die Locations eines privilegierten Kulturschaffenden. Vielmehr zeugen seine Bilder von einer tiefen Empathie für die Protagonisten des Lebens. Besonders für diejenigen, die am Rande herumstehen. Wie es möglich sei, den jungen Leuten in ihrer Welt so nahe zu kommen, lautet eine immer wieder gern gestellte Frage. Es ist wohl die Gabe und Kunst Tobias Zielonys, Vertrauen zu gewinnen und gleichzeitig Beobachter zu bleiben.