Stille Kulturwerber hinter der Planke

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Das „Verkehrsblau“ dominiert den Schilderwald an der Autobahn. Aber hier und dort buhlt ein erdiges Braun um Aufmerksamkeit: Die „Touristische Hinweisbeschilderung“ soll die Fahrer*innen zur nächsten Sehenswürdigkeit (ver-)führen. Was die nüchterne Grafik-Schrift-Kombination nur andeuten kann, formuliert eine Handy-App lebhaft aus. Sie erzählt mehr über Burgen, Museen, Freizeitparks, Naturdenkmäler und ganze Regionen.

Langsam steigt sie an, die A46 aus Düsseldorf kommend. Nach einem bunten Gewerbegebiet mit turmhohen Werbungen folgt in Fahrtrichtung Wuppertal nur noch Grün. Rechts und links. Kilometerlang. Eine Abfahrt folgt der nächsten. Die A3 quert. Und dann? „Historischer Ortskern Gräfrath“ heißt es bei Kilometer 91 in Braun und Weiß. Und schon wird das Schild im Rückspiegel kleiner. Mit Tempo 120 passieren täglich Tausende dieses Schild. Aber was soll es uns sagen? Ein Schwert am linken Rand mit angedeuteter historischer Fassadenzeile und dem Gräfrather Brunnen. Reicht das zur Abfahrt von der Autobahn?

Seit einiger Zeit springt ein privater Anbieter in die stille Lücke und bringt die Schilder zum Sprechen. Das kleine Unternehmen Maqnify aus Baden-Württemberg hat die Autobahnschilder schon in mehreren Bundesländern vertextet, eingesprochen und verortet. Andere Anbieter wollen mit ähnlichen Konzepten folgen. Läuft die Erlebnisguide-App im Auto, startet die Beschreibung der Sehenswürdigkeit noch bevor das Auto am Schild vorbei ist, der GPS-Ortung sei Dank. 

„Der historische Ortskern von Solingen-Gräfrath hat sich seit dem 18. Jahrhundert kaum verändert. Ein Rundgang führt durch enge Gassen mit schieferverkleideten Häusern und auf den idyllischen Marktplatz…“ Knapp 40 Sekunden Inhalt müssen überzeugen zur Abfahrt – oder eben nicht. Während auf der A46 in der Audio-Datei auch das Deutsche Klingenmuseum in Gräfrath empfohlen wird, lernen die Autofahrer auf der A31 das Barockschloss Ahaus kennen, das der Kapuzinermönch Ambrosius von Oelde ab 1688 für die Fürstbischöfe von Münster erbaut hat. Von der Abtei Brauweiler über das Felsenmeer Hemer und das Kloster Dalheim bis zur Zollfeste Zons reicht das Schilder-Alphabet zwischen Rhein und Weser.

Es ist ein wahres Schilder-Meer. An Nordrhein-Westfälischen Autobahnen gibt es derzeit etwa 380 dieser Tafeln. Für insgesamt knapp 220 Sehenswürdigkeiten, denn meistens steht eine Sehenswürdigkeit in beiden Fahrtrichtungen, oft auch auf mehreren Autobahnen. Den Rekord hält derzeit das Ruhrgebiet, auch die Regionen werben auf Touristischen Hinweistafeln für sich: auf zehn Schilder bringt es die „Metropole Ruhr“, von der A1 bei Gevelsberg bis zur A52 bei Essen-Kettwig, gefolgt vom Rheinischen Braunkohlenrevier mit sechs Schildern – gleichauf mit dem Münsterland.

Wann eine Region, ein Museum, eine Burg oder eine andere Sehenswürdigkeit ein Schild bekommt, steht in einer Fahrtlänge nicht fest. Kurz gefasst muss die Einrichtung Unterstützung von ihrer Kommune oder ihrem Kreis haben und den Wunsch ausführlich begründen. Am Ende entscheidet ein Fachgremium bei der Autobahn Deutschland GmbH (Niederlassung Westfalen) über die Anträge. Einmal im Jahr treffen sich dort Verkehrsexperten mit Denkmalfachleuten und Landeskundlern der Landschaftsverbände, dem Städte- und Gemeindebund und Touristikern, um die Anträge und Grafikvorschläge zu bewerten. Ist der Ort einzigartig genug, gibt es regelmäßige Öffnungszeiten, wird tatsächlich beachtlicher Reiseverkehr angezogen und – für die Ausflugsfahrer nicht unwichtig – stehen ausreichend Parkplätze zur Verfügung? Diese und zahlreiche andere Fragen lassen die Köpfe im Gremium rauchen, bevor es eine Ablehnung, eine Zurückstellung oder die Genehmigung gibt. Die Straßenbauer der Autobahngesellschaft suchen danach den Aufstellungsort und der Antragsteller muss für Gestaltung und Produktion sorgen.

Für die Gestaltung gibt es Vorgaben: nicht überfordern, nicht irritieren, schnell überschaubar sein. Allzu oft fällt der erste Vorschlag durch. Mehrere Sehenswürdigkeiten auf nur einer Tafel sind kaum genehmigungsfähig. Schnell wieder auf den Asphalt zu gucken, das ist Ziel der vereinfachten Gestaltung. Was das Auge verpasst, kann ja auch über das Ohr vermittelt werden…

Text
Jens Nieweg/Tourismus NRW

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