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Eine Familie, ein Wochenende – viele Konflikte. Was so klingt wie die typische Konstellation in einem Familienroman, wird bei Elina Penner zu einer rasanten Geschichte über Herkunft, Halt und Liebe. Im Zentrum ihres Debütromans „Nachtbeeren“ steht Nelli, die zusammen mit ihrer mennonitischen Familie als kleines Mädchen von Russland nach Minden kommt. Wir haben Elina Penner sechs Fragen über ihr Buch und ihr Schreiben gestellt.
Woher kam der Wunsch, einen Roman zu schreiben?
EP:
Ich arbeite schon lange als Autorin für Magazine wie Hauptstadtmutti, 11 Freunde oder Vice. Einen Roman zu schreiben, war immer ein kleiner, geheimer Traum von mir. Den habe ich aber nie aktiv verfolgt. Bis ich 2018 meine Agentin zum Mittagessen getroffen und sie gefragt habe, was man machen muss, um ein Buch zu schreiben. Sie hat mir eine interessante Gegenfrage gestellt: „Elina, möchtest du ein Buch schreiben?” Erst als ich diese Frage klar mit „ja” beantwortet hatte, ging es weiter. Und zwar ganz klassisch mit einem Ideen-Pitch. Wir haben über mehrere Jahre hinweg Konzepte hin- und hergeschoben. Am 2. Januar 2020 habe ich mit „Nachtbeeren” angefangen.
Ich kann mich manchmal in einem regelrechten Rausch schreiben.
Wie lief der Schreibprozess ab?
EP:
Erst standen ein paar Recherchen an, danach bin ich jeden Morgen zu einem Co-Working-Space nach Minden gefahren. Mein Mann war damals in Elternzeit – und ich konnte mich auf mein Buch konzentrieren. Beim Schreiben selbst war ich sehr fokussiert. Ich kann mich manchmal in einem regelrechten Rausch schreiben.
Kulturkenner: Worum geht es in „Nachtbeeren“?
EP:
„Nachtbeeren” ist ein russlanddeutscher Familienroman. Konkret geht es um eine mennonitische Familie, die sich an einem Wochenende trifft. Die Geschichte ist abstrus und zugespitzt. Sie kreist um diese speziellen Dynamiken, die in migrantischen Familien vielleicht manchmal besonders dramatisch sein können. Als Leser*in muss man sich auf jeden Fall darauf einlassen, es gibt viel schwarzen Humor.
Ab wann wusstest du, dass du genau diese Geschichte erzählen möchtest?
EP:
Genau diese Geschichte ist eigentlich erst beim Schreiben entstanden. Vorher hatte ich viele andere Ideen im Kopf, auch wenn das Setting immer ähnlich war: Es ging um Brüder, es ging um Aussiedler*innen, es ging um Minden.
Welche Reaktionen bekommst du speziell von Russlanddeutschen auf den Roman?
EP:
Es gibt große Generationenunterschiede. Ältere finden das Buch oft zu zynisch und übertrieben. Jüngere dagegen fühlen sich verstanden. Die beiden Romanfiguren Nelli und Eugen sind zum Beispiel richtige Klischee-Millenials. Sie sind Teil der „mitgebrachten” Generation, sie wurden nicht gefragt, ob sie nach Deutschland auswandern möchten. Damit können sich viele Russlanddeutsche unter 40 identifizieren, weil sie ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die haben das Gefühl, dass es zum ersten Mal um „ihre” Geschichte geht, und erleben durch das Buch eine öffentliche Repräsentation, die sie sonst nicht kennen.
Elina Penner…
… wurde 1987 als mennonitische Deutsche in der ehemaligen Sowjetunion geboren und kam 1991 nach Deutschland. Plautdietsch ist ihre Muttersprache. Nach Jahren in Berlin und in den USA lebt sie mit ihrer Familie in der Nähe von Minden. „Nachtbeeren“ ist im Berliner Aufbau Verlag publiziert worden. Dort erscheint im September 2023 ihr zweiter Roman „Migrantenmutti“.