Podcast-Tipp: „Aus der Rolle fallen“ am Schauspielhaus Bochum

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„Ein Schauspieler braucht gute Ohren“: In einem Podcast des Schauspielhauses Bochum stellt sich das Ensemble in Gesprächen mit dem Kollegen Mourad Baaiz vor.

Wohin fallen Schauspieler, wenn sie aus der Rolle fallen: ins Bodenlose etwa? Nicht unbedingt. Ins Private? Vielleicht, ja. Jedenfalls ins Persönliche, ins Offene. Womöglich sogar ins Strukturlose, während das Spiel, der Spielraum, der Text, das Vorgegebene Sicherheit, Schutz und Halt bieten. Gerade an diesem Theater, dessen Besonderheit nicht nur diejenigen spüren, die dort arbeiten, sondern auch wir, die ihnen dabei zusehen.  

Mourad Baaiz, selbst im Bochumer Ensemble, befragt – notgedrungen in einem Moment der pandemischen Isolation, aber dann doch auf und für die Dauer gewinnbringend – seine Kolleg*innen: Sehr ausführlich, bis zu eineinhalb Stunden lang und nicht kürzer als eine Dreiviertelstunde sind die Gespräche. Baaiz lacht viel – das ist schön, er fragt sanft, empathisch und nachdrücklich, das macht es den jeweils Beteiligten einfach, auch, weil er einer von ihnen ist.

Zum Beispiel: Elsie de Brauw (geb. 1960). Sie erzählt, dass sie Tochter aus reichem Hause sei, als Mädchen gestottert, Theologie und Psychologie studiert und erst mit 25, „mit mehr Lebenserfahrung“, die Schauspielschule in Maastricht besucht habe: als noch keine Gelernte. Im Gegenzug wundert sie sich über den Mangel an Persönlichkeit vieler Schauspielschüler bei gleichzeitiger Selbstsicherheit, die schon am Beginn (zu) perfekt darin seien, ihre fertige Ausdrucksskala zu haben, zu zeigen oder zu produzieren. Johan Simons und sie haben sich dort, in ihrem dritten Studienjahr, kennengelernt: als Regisseur, für sie der erste, „der etwas in mich investiert hat“. Jemand, der ihr Bewusstsein für „Form“ vermittelt, ihr Verständnis für den Körper beigebracht, der „mich gesehen“ hat. 

„Tauberbach“ von Alain Platel an den Münchner Kammerspielen war für sie eine wichtige Erfahrung durch die Begegnung mit Tänzern. Die Aufforderung zu tanzen, konnten die einfach so umsetzen, fünf Minuten oder eine Stunde, sagt sie. Als Schauspielerin gehe das nicht so leicht für ihr Gefühl: „Ich war nackt die ganze Zeit“. Elsie de Brauw definiert die Voraussetzung für ihren Beruf so: „Ein Schauspieler braucht gute Ohren, ein musikalisches Gefühl, eine schöne Stimme, Humor, Fantasie, Empfindlichkeit – er sollte „tapfer sein und sich verletzbar zeigen“, fügt sie noch hinzu, nachdem ihr Dialogpartner Mourad ihr diese  Eigenschaften nahe legt. Und sie charakterisiert sehr sinnig einen Perspektiv-Unterschied: „Die Reise eines Schauspielers ist anders, als die eines Regisseurs: die eine verläuft vertikal, die andere horizontal.“ 

Zum Beispiel: Marius Huth (geb. 1993). Auf der Schule hat er Trompete gespielt und nicht nur dort in Theatergruppen mitgemacht. So habe sich bei ihm, der schon ein Lehramtstudium begonnen hatte, mit etwa 21 das „Flämmchen“ entzündet. An knapp zwei Dutzend Schauspielschulen hat er sich beworben: auch ein „Glücksspiel“. Angenommen wurde er an einer Nicht-Staatlichen Schule in Wien und hat dort u.a. gelernt, wirklich etwas zu wollen, dass „wirklich etwas verhandelt werden muss“. Durchaus mit „Wut“ und „Zorn“ auf der Bühne über das, was in der Welt, in der Familie, in einem selbst los ist. Bochum ist Huths Erst-Engagement. Er schwärmt – wie viele – auch von der angstfreien Arbeit mit Johan Simons und mit ihm erfahren zu haben, „einfach die Kontrolle über sich selbst“ abgeben zu können. Was ihn „inspiriere“, fragt Baaiz – „das Leben selbst“, antwortet Huth. 

Zum Beispiel: Gina Haller (geb. 1987). Es ist die nicht geradlinige, komplizierte, sehr eigenständige und ihrer sich selbst bewusst werdende Biografie einer „vorsichtigen Person“. Als Einzelkind und „als kleines schwarzes Kind“ – sie zieht die Verbindung zu Kafkas „Verwandlung“ und Gregor Samsa – sei sie in ihrem schweizerischen Dorf viel für sich und mit sich beschäftigt, auch schüchtern gewesen und habe sich eigene Welten erdacht. Sie fand ebenfalls, während einer schwierigen persönlichen und familiären Phase, in einen Theaterclub: „Es hat gut getan“. Nach dem Abitur zog sie nach Paris und hat gejobbt: „Dass sieben Jahre daraus werden würden, hatte ich nicht gedacht.“ Ohne konkrete Vorstellung von dem, was sie wolle, und auch aus Unsicherheit heraus hat sie dann dort zwei Jahre lang die Schauspielschule besucht („eine Erfahrung in meinem Werkzeugkasten“). Und im Anschluss, mit 25, noch in Bern. Vor allem „Selbständigkeit“ habe sie dort gelernt und Rüstzeug für die eigene Kreativität. Aus der Schweiz ging es für Gina Haller nach Trier und weiter nach Bremen für nur ein Jahr, nachdem sie eine Einladung zum Vorsprechen in Bochum bekommen hatte und angenommen worden war. Sie sei „ein Fan von Kollektivarbeit“, was für die Arbeit mit Johan Simons im Besonderen und etwa den gemeinsamen „Hamlet“ gilt. „Flexibilität“ nennt sie als Eigenschaft für den Spiel-Beruf, auch „Offenheit und Durchlässigkeit“. Sie wünsche sich eine „diversere deutsche Theaterlandschaft“ als Abbild der Gesellschaft und wünsche sich „Koexistenz“ auf einer Theaterbühne, wofür sie sich aktivistisch engagiert. „Akzeptanz finden“, für sich selbst – als Mensch und als Künstlerin. „Ich bin jetzt stolzer denn je“.

Zum Beispiel: Konstantin Bühler (geb. 1979), der als siebenjähriger Grundschüler seinen ersten Bühnensatz  im Märchen von „Des Kaisers neuen Kleidern“ sagte. Der Satz lautete, er erinnert ihn heute noch: „Die sind doch alt und nicht mehr weise“. Damals ein Ereignis, „so outstanding“, dass er von einem Glücksgefühl spricht. Über eine Theater AG kam schnell der „Geschmack“ für den Beruf auf, und weil er parallel bereits kleine Rollen am Düsseldorfer Schauspielhaus spielte, war er nahezu entrüstet, dass man ihn dort nicht sogleich ins Ensemble übernommen hat: ohne Ausbildung. Seine ‚Empörung’ brachte ihn zunächst dazu, in Bonn Literaturwissenschaft zu studieren (das viele Lesen ist geblieben), aber dann doch „umwegig“ zur Schauspielschule und fix in die „konkrete Praxis“, noch bevor die Ausbildung fertig war. Eindrücklich seien für ihn, zumal in der Anfangszeit, Begegnungen mit auch älteren Kollegen gewesen und deren persönliches Vertrauen – etwas, das nur durch gemeinsames Arbeiten und den Ort Theater möglich gewesen sei. 

Überhaupt spricht er von guten Erfahrungen und dass Menschen am Theater ihm „Luft unter die Flügel geblasen“ haben. „Team spirit“ ist Bühler ganz wichtig, diesen Geist des Gemeinsamen habe ihm schon die Ausbildung mitgegeben. Überhaupt klingen bei ihm reiche Lebenserfahrung und hohes Reflexionsvermögen mit (nicht nur, wenn er von F. Scott Fitzgerald spricht). Was auch mit Sich-Öffnen zu tun hat und damit, Konventionen verlassen zu können – etwas, was Bühler bei seinem Unterwegs-Sein ‚aufgelesen’ hat: „nie aufzuhören, forschen zu wollen, auch das Scheitern zu riskieren, das Verschieben von Grenzen“. Dazu passt, dass er Nelson Mandela als Inspiration nennt, bei dessen Tod er zufällig in Afrika auf Reisen gewesen war und in einer „schlagenden Koinzidenz“ sogar in derselben Nacht zuvor sich mit Freunden über den Freiheitskämpfer unterhalten habe. 

Podcast "Aus der Rolle fallen". Schauspieler Mourad Baaiz trifft seine Kolleg*innen am Schauspielhaus Bochum zum Vier-Augen-Gespräch.

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