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Seit 2021 ist Tung-Chieh Chuang Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker und Intendant des Anneliese Brost Musikforum Ruhr. Den Grundstein für seine internationale Karriere legte der Dirigent aus Taiwan 2015 mit dem Gewinn des Internationalen Malko-Wettbewerbs in Kopenhagen.
Herr Chuang, Sie sind ausgebildeter Statistiker und Dirigent. Spiegelt das Ihre familiären Wurzeln?
TC:
Meine Eltern sind beide Musiker, ich bin mit Musik großgeworden, habe Horn und Klavier gelernt. Schon im Jugend-Sinfonieorchester habe ich gemerkt, welch großen Einfluss ein Dirigent auf die Musik haben kann. Das hat mich inspiriert.
Gab es einen bestimmten Punkt, an dem Sie gesagt haben: Dirigieren – das ist mein Weg?
TC:
Es gibt eine Aufnahme der ersten Sinfonie von Johannes Brahms mit dem Dirigenten Bernard Haitink. Ich glaubte damals, das Repertoire schon gut zu kennen. Dann hörte ich diese Einspielung. Sie wirkte wie ein Schock. Es kam mir vor, als könne ich meinen Ohren nicht mehr trauen. Natürlich kann ich heute nicht mit Bestimmtheit sagen, dass dies der Moment war, an dem ich mich entschlossen habe, Dirigent zu werden, einen wichtigen Einfluss hatte dieses Erlebnis aber sehr wohl.
Woran lässt sich der Einfluss des Dirigenten festmachen?
TC:
An der Art, wie ein Dirigent mit einem Orchester umgeht. Ich habe großen Respekt vor den einzelnen Musikern, weil jede und jeder eigene Qualitäten besitzt und eigene Ideen hat. Dazu kommen meine Vorstellungen, und ich muss das Ganze zusammenbringen.
Wann ist ein Dirigent erfolgreich?
TC:
Wenn jedes einzelne Konzert anders klingt – lebendig, unabhängig von Ort und Zeit.
Jetzt haben Sie in Bochum ein festes Engagement. Was waren Ihre Gründe, ja zu sagen?
TC:
Schon bei der Aufführung einer Tschaikowsky-Sinfonie habe ich eine Frische und Offenheit gespürt, auch beim Bochumer Publikum, das nach einem der Sätze anfing zu klatschen, weil es so bewegt war von dem, was es gerade gehört hat. Insofern entstand eine Art Liebe auf den ersten Blick.
Wenn Musiker sich erstmals begegnen, wissen sie meistens sehr schnell, ob die Chemie untereinander stimmt. Woran lässt sich das festmachen?
TC:
Dieser ‚chemische Prozess‘ lässt sich kaum in Worte fassen, weil innerlich in sehr kurzer Zeit Dinge ablaufen, die man erspürt, aber nicht rationalen Kriterien zuordnen kann. Als Dirigent ist es meine Aufgabe, Dinge zu vermitteln und zu koordinieren, und man erkennt sehr schnell, wie offen ein Orchester damit umgeht, wie es Fragen stellt. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um die Bereitschaft, etwas gemeinsam zu entdecken und einen bestimmten Klang zum Leben zu erwecken. Musiker sein, bedeutet immer auch, eigene Kreativität in die Gesellschaft zu bringen.
Welche Ziele haben Sie mit dem Orchester?
TC:
Ich möchte den eigenen Klang der Symphoniker weiterentwickeln.
Eine orchestereigene Identität also, wie soll diese aussehen?
TC:
Das Orchester kann sehr fein musizieren, mit intimem Charakter. Außerdem verfügt es über eine große Palette an Farben. Das möchte ich zu einem eigenen Klang entwickeln, indem wir anfangs in möglichst viele Richtungen experimentieren, ob Haydn oder Ravel, Mozart oder Brahms. Danach werden wir sehen, wo die Reise hingeht und wo wir vielleicht Schwerpunkte setzen können.