„Das ist eine Reparatur an uns selbst“: Interview mit der Antilopen Gang

Musik
Die Antilopen Gang ist als Rap-Band bekannt, veröffentlicht nun aber ihr Doppelalbum „Alles muss repariert werden“ – und das besteht aus einer Rap- und einer Punkplatte. So etwas wirft Fragen auf, die Daniel „Danger Dan“ Pongratz, Kolja „Koljah“ Podkowik und Tobias „Panik Panzer“ Pongratz im Interview beantworten.
Ihre neue Platte – halb Punk, halb Rap – heißt „Alles muss repariert werden.“ Was hat Sie bewogen, diesen Titel zu nehmen: Der Zeitgeist? Der Status Quo der Welt?
Koljah:
Wir sind generell sehr eingeschränkt mit der Titelauswahl, weil wir uns früher einmal diese Neurose auferlegt haben, dass am Anfang eines Albumtitels bei uns immer ein „A“ stehen muss. Insofern passt „Alles muss repariert werden“ schon mal. Und wenn ich mich richtig erinnere, gab es zuerst den Song „Destroy“, in dem es im Refrain heißt: „Nichts soll mehr kaputt gemacht werden. Das ist ja eine Antithese zu diesem Punkerklischee „Alles muss kaputt sein“.
„Macht kaputt, was euch kaputt macht“, wie es bei Ton Steine Scherben heißt.
Koljah:
Richtig. Ton Steine Scherben haben Punk gewissermaßen vorweggenommen. Und ich glaube, „Alles muss repariert werden“ war dann zumindest bei mir auch so ein bisschen so ein zwangsneurotischer Reflex – dass ich, wenn ich Punk mache, gleich auch Punk im Punk sein will und sage: Natürlich wird hier nichts kaputt gemacht, sondern alles muss repariert werden, weil es viel zu konform wäre, jetzt alles zu zerstören.
Panik Panzer:
Es ist auch einfach ein schöner Universal-Slogan, der sich auf alles anwenden lässt. Der war und ist direkt so griffig. Ich meine: Dass der Zustand der Welt hier und da irgendwie auch einer Reparatur bedarf, ist ja offensichtlich. Aber das Reparieren passt ganz gut zu uns als Band. Wir wollen uns nicht ständig wiederholen und nur noch in bewährten Konzepten verharren. Insofern ging es mit so einem Titel auch ein bisschen darum, sich neu zu erfinden. Im Zweifel auch als Punkband. Das ist quasi eine Art Reparatur an uns selbst, die innerhalb dieses Albums stattgefunden hat. Wir waren innerhalb der Hip-Hop-Szene immer so eine Art Alien – weil wir von vielen Leuten dort eben auch eher als Punkband wahrgenommen wurden. Punk war zudem schon immer irgendwie Teil unserer Bühnenshow und unserer Alben. Und jetzt war der Moment da, an dem wir gesagt haben: Jetzt wollen wir wirklich mal ein ganzes Punkrockalbum komplett von der Pike auf neu schreiben. Und das führte zu einem sehr abgefahrenen und sehr erbaulichen Songschreibeprozess.
Inwiefern?
Panik Panzer:
Wir haben alle nochmal gemerkt, wieviel Spaß das macht – auch und gerade im Gegensatz zum Schreiben von Rap-Texten.
Was ist denn genau der Unterschied zwischen diesen beiden Genres im Songwriting?
Koljah:
Du hast beim Punk, im Gegensatz zu Rap, viel weniger Zeilen pro Strophe. Meistens hat eine Rap-Strophe bei uns 16 Zeilen – und da kannst du zwei Punksongs draus machen. In dem Moment, wo man Rockmusik macht, trägt eine kurze Zeile einfach ein ganzes Lied. Was ich außerdem noch gut finde an Punkrock: Du musst nicht darauf achten, dass ein Reim besonders gut und mehrsilbig und so ist. Ich dachte jetzt auf jeden Fall: Wow, da bieten sich auf einmal ganz andere Möglichkeiten, es öffnet sich eine komplett neue Welt!
Danger Dan:
Es ist viel einfacher. Und das hat uns, glaube ich, allen viel mehr Spaß gemacht. Es ging viel schneller, als zehn Hip-Hop-Stücke zu schreiben, die wir dann irgendwann gut finden. Denn dafür müssen wir jedes Mal 30 Skizzen anfertigen. Und dann nochmal aussortieren. Beim Punkalbum aber ging es einfach nur um zwölf Lieder, die wir gut finden. Die haben wir geschrieben – und gut war’s.
Koljah:
Dadurch, dass wir nun so unbeschwert und irgendwie auch naiv an diese Punkplatte gegangen sind, konnten wir eigentlich noch mal einen ähnlichen Zustand herstellen wie damals. Als wir vor 20 Jahren angefangen hatten, Rap zu machen.
Wie war das denn damals?
Koljah:
Da haben wir uns getroffen, einen Kasten Bier geholt – und haben dann einfach irgendwelche Texte geschrieben, uns kaputtgelacht, das aufgenommen. Und dann war das Album fertig. Das war nicht verkopft oder so. Und jetzt diese Punkplatte zu machen, hat uns daran erinnert. Bei der Rap-Platte dagegen haben wir meist den ganzen Tag so mega angestrengt und zermürbend an den Songs gearbeitet und die mit Ach und Krach hingekriegt. Also: Das klingt jetzt so negativ. Dabei bin ich eigentlich auch mit der neuen Rap-Platte total zufrieden. Aber es war eben ein langer, weiter, schwerer Weg. Deshalb haben wir dann abends, zur Zerstreuung und um noch mal auf andere Gedanken zu kommen, gesagt: „Komm, lass uns nochmal einen Punksong ballern!“ Und dann haben wir eine halbe Stunde einfach drauflos gemacht und haben Spaß gehabt und dann war das Lied auch schon fertig.
Denken Sie dieses Konzept auch für die Zukunft weiter?
Danger Dan:
Ich glaube, das ist alles noch nicht ganz absehbar. Aber die Vorstellung, irgendwann in meinem Leben noch mal ein Rap-Album zu schreiben, nachdem ich jetzt dieses Punk-Album geschrieben habe, die finde ich ganz furchtbar.
Ist die alte Mär des „Rap ist der Klassenfeind des Punk – und umgekehrt“ letztlich nur ein Klischee?
Danger Dan:
Falls es mal einen Widerspruch zwischen Punk und Rap gab, hat sich das irgendwann einfach so aufgelöst. Es gibt Bands wie uns, wenn du bei denen von der Bühne runterschaust und siehst, was die Leute im Publikum für Shirts anhaben, dann siehst du Shirts von ganz vielen Punkbands. Von Feine Sahne Fischfilet bis Knochenfabrik. Oder du siehst irgendwelche Polit-Shirts. Aber du wirst niemandem mit einem Kollegah-Shirt sehen. Was ich damit meine: Ich glaube, dass es am Ende gar nicht unbedingt nur um die Musikrichtung geht. Es geht um eine gewisse Haltung und etwas, was über die Musik hinausgeht.
Apropos Haltung: Sie sind mittlerweile bekannt als Band, die eine solche hat. Nicht zuletzt dank Songs wie „Oktober in Europa“ über das Hamas-Massaker und aufkeimenden Antisemitismus in Deutschland. Oder dank Ihrer Soloplatte „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“, Danger Dan. Würden Sie sagen, die Antilopen Gang ist wichtiger Bestandteil der linken Szene? Womöglich sind Sie sogar Role Models?
Koljah:
Wir haben uns immer Mühe gegeben, sowas von uns zu weisen. Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt bist du zumindest eine Projektionsfläche. Und ich glaube, das Lied, das uns für eine breitere Öffentlichkeit bekannter gemacht hat, war „Beate Zschäpe hört U2“. Das war ein politischer Song, ein Song gegen Nazis und Antisemiten. Und dann galten wir halt als politische Band. Aber wir sind einfach eine Rap-Crew, oder meinetwegen auch eine Punkband – keine politische Partei mit einem Grundsatzprogramm und wir benutzen auch nicht die Musik als Vehikel, um die Leute zu agitieren.
Danger Dan:
Ich denke, in dem Moment, in dem wir etwas schreiben oder machen oder veröffentlichen, begreifen wir uns nicht als politische Aktionisten. Aber: Wenn ich jetzt rückblickend 15 Jahre Antilopen-Geschichte sehe und erklären oder erzählen will, was das nun für eine Band ist, was sie für eine Entwicklung durchlaufen hat, dann ist das, was in diesen Jahren passiert ist, tatsächlich eine sehr politische Geschichte. Aber für mich geht es da nicht nur um Lieder, sondern auch um politische Ereignisse. Geschichten wie die, dass wir damals nach Freital gefahren sind, als die Nazis da vor dem Heim mit Geflüchteten standen und Menschen lynchen wollten. Da haben wir uns gestellt und solidarisiert. Das sind so Aktionen, die für mich extrem wichtig sind, um die Geschichte der Antilopen Gang zu erklären. Und insofern habe ich manchmal schon das Gefühl, dass wir eine sehr politische Gruppe sind – auch wenn wir uns in dem Moment, in dem wir etwas in dieser Art gemacht haben, nie so begriffen haben.
Warum wehren Sie sich so gegen diesen Begriff der politischen Band?
Panik Panzer:
Ich glaube, weil damit auch stets so eine Vorstellung einhergeht von einer Band, die bei ihren Konzerten Parolen anstimmt – und das Publikum grölt dann mit. Alle sind sich einig und klopfen sich gegenseitig auf die Schulter und sagen: „Ja, cool, wir sind alle der gleichen Meinung.“ Das ist weit entfernt von dem Anspruch, den wir an uns als Band haben. Einerseits. Aber andererseits verstehe ich schon, dass wir als eine Band des linken Spektrums wahrgenommen werden. Da falle ich nicht aus allen Wolken.
„Oktober in Europa“ aber wurde auch von den überregionalen Medien aufgegriffen, bewertet und mitunter sogar fast Zeile für Zeile analysiert. Das ist schon signifikant.
Koljah:
Es war ein paarmal so, dass wir in bestimmten gesellschaftlichen Situationen bestimmte Lieder veröffentlicht haben. Und in den jeweiligen Momenten waren wir dann eben irgendwie die einzigen, die solche Songs gemacht haben. Und dann hat diese Leerstelle dazu geführt, dass diese Haltung bei uns so sichtbar und auffällig war. Wir haben „Oktober in Europa“ nach dem 7. Oktober 2023 in einer Situation geschrieben, in der das schlimmste Massaker an Juden seit 1945 passiert war, gefolgt von einer riesigen globalen antisemitischen Welle. Aber fast alle Künstler und Musiker, die sich sonst zu jedem Blödsinn äußern und auf engagiert machen, haben die Fresse gehalten. Wir haben uns quasi genötigt gesehen, dieses Lied zu machen. Wir konnten gar nicht anders. Das hatte wohl auch etwas mit unserem Anspruch an uns selbst zu tun.
Interview
Frank Weiffen

Antilopen Gang

Die Antilopen Gang wurde 2009 in Düsseldorf als Rap-Band von Daniel „Danger Dan“ Pongratz, Tobias „Panik Panzer“ Pongratz, Kolja „Koljah“ Podkowik und dem 2013 verstorbenen Jakob „NMZS“ Wich gegründet. Mit dem Album „Anarchie und Alltag“ (2017) gelangten die Musiker erstmals an die Spitze der Charts und etablierten sich zudem als Künstler mit klarer politischer Aussage. Danger Dans Solo-Erfolg mit „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ zementierte dies, machte die Antilopen Gang endgültig zu einer der bekanntesten Bands des Landes und brachte sie gar in die Feuilletons. Das Doppelalbum „Alles muss repariert werden“ ist Platte Nummer sieben. Am 21. Februar 2025 gastiert die Antilopen Gang im Kölner Palladium.

Verwandte Inhalte

Mehr Kultur aus NRW mit unserem Newsletter

Kulturkenner patternKulturkenner pattern