Das Helle und das Dunkle - Carla Kaspari im Interview zu ihrem Debütroman „Freizeit“

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Das erste Buch von Carla Kaspari trägt den harmlosen Titel „Freizeit“. Darin schildert die Kölner Autorin mit einem feinen Gespür für die Lebenssituation der Digital Natives eine Geschichte über Freundschaft und Verlust – und über das Klarkommen im Leben mit Ende 20.
Kulturkenner: Was für eine Geschichte wird in „Freizeit“ erzählt?
CK:
Das Buch hat zwar eine gewisse narrative Handlungsebene, aber die steht gar nicht so sehr im Vordergrund. Grundsätzlich geht es um Franziska. Sie ist 27 Jahre alt und zu Beginn des Buches mit der Trennung von ihrem Freund konfrontiert. Sie hat zwei Jahre in Paris gelebt und kehrt nun in ihre Heimatstadt zurück. Dort versucht sie, zurechtzukommen und an ihre alten Beziehungen, ihre Jugend, anzuknüpfen.
Kulturkenner: In Franziskas Leben scheint vieles in Ordnung zu sein, aber es gibt immer wieder Kipp-Punkte: Verlusterfahrungen, Drogen, ein Suizid im Freund*innenkreis… Inwiefern ist „Freizeit“ also auch ein Text über Kontrolle und Kontrollverlust?
CK:
Meine Idee war, diese Dinge gleichberechtigt nebeneinander stehen zu lassen und in einer ähnlichen Sprache von ihnen zu erzählen. Es gibt düstere, traurige Momente. Aber auch sehr lustige, helle. Denn auch im Leben findet alles gleichzeitig statt - und die Kontrollmöglichkeiten sind begrenzt.
Kulturkenner: Was erzählt uns ein Roman mit dem Titel „Freizeit“ eigentlich über deren Gegenpart, die Arbeit?
CK:
Arbeit ist für Franziska etwas, bei dem sie sich gut fühlt. Wenn sie arbeitet, ist sie produktiv und denkt nicht so viel über andere Dinge nach. Dieses Konzept bröckelt zwischendurch zwar ein wenig, aber die großen, tiefer gehenden Probleme liegen für Franziska in der vermeintlich harmlosen Freizeit.
Kulturkenner: Im Roman steckt ein weiterer Roman, denn auch Franziska schreibt ihr erstes Buch. Als Leser*in begleitet man sie beim Schreiben und kann Auszüge aus ihrem Text nachlesen. Welcher Gedanke steckt hinter dieser Konstruktion?
CK:
Die Verwechslung von Autor*in und Erzähler*in ist ein großes Thema. Sie wird im Buch selbst thematisiert, denn Franziska befürchtet, mit der Protagonistin in ihrem Roman verwechselt zu werden. Ich habe Literaturwissenschaften studiert und beschäftige mich schon lange mit Autor*innenschaft – und mit dem Zusammenspiel von Fiktion und Realität in Texten. Ich denke, dass eigentlich jeder erzählende Text eine Fiktion ist, selbst wenn Autobiografie drauf steht. Franziska schreibt, und als Leser*in muss man sich immer wieder fragen, was fingiert ist – und was vielleicht nicht.
Kulturkenner: Franziska benutzt häufig das Wort „normal“: Ein Zimmer riecht normal, sie fühlt sich normal. Warum gerade dieses Wort?
CK:
Ich mag das Wort sehr gerne. Es ist – ähnlich wie der Begriff „Freizeit“ – absolut nichtssagend und generisch. Aber trotzdem verbindet jede Person etwas Spezifisches damit. Das wollte ich auf humoristische Art vermitteln.
Kulturkenner: Inwiefern ist der Roman auch eine Geschichte über Einsamkeit?
CK:
Franziska bewegt sich sehr stark in einem Spagat zwischen Individualität und Gemeinschaft. Sie ist die ganze Zeit auf der Suche nach Verbindungen von früher – und scheitert daran. Sie zieht sich zurück, obwohl sie das eigentlich gar nicht möchte. Das verweist schon auch darauf, dass unsere Gesellschaft und das System, in dem wir leben, auf Vereinzelung aus ist. Für Franziska ist es einfacher, sich in der Einsamkeit und ihrer Individualität aufzuhalten, als wirklich weiter für ihre Beziehungen zu kämpfen und wieder Teil einer Gemeinschaft zu werden.
Kulturkenner: In einer Besprechung des Romans heißt es, dass Carla Kaspari das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf den Punkt bringe. Würdest du dem zustimmen und wenn ja, warum?
CK:
Das ist lustig, denn im Roman hat auch Franziska ein Gespräch mit ihrer Lektorin, die der Meinung ist, dass ihr Buch das Porträt einer ganzen Generation werden könnte. Wenn junge Autor*innen Bücher schreiben, wird das ja sehr häufig auf irgendeine Generation bezogen. Mit Sicherheit lassen sich auch in meinem Text Stellen finden, die typisch für ein bestimmtes Milieu in einer Generation sind. Aber das war nicht Ziel meines Schreibens.
Kulturkenner: Wie hast du die letzten Wochen seit dem Erscheinen von „Freizeit“ erlebt?
CK:
Am Anfang war ich eigentlich ganz ruhig, aber um den Release herum dann doch nervöser als gedacht. Die Reaktionen auf das Buch waren insgesamt eigentlich sehr gut. Vor allem jüngere Leute können sich mit dem Text identifizieren, und auch ältere Menschen können dem Blick auf die Digital Natives etwas abgewinnen. Außerdem finde ich es spannend, dass mir Fragen zu ganz unterschiedlichen Sujets in dem Roman gestellt werden. Für jede*n Leser*in scheinen andere Aspekte interessant zu sein.
Kulturkenner: Du arbeitest schon lange als freie Autorin. Wie war der Wechsel auf die Langstrecke für dich?
CK:
Sehr gut! Ich wollte schon immer einen Roman schreiben, aber mir haben oft Zeit und Raum dafür gefehlt. Mit Ende 20 hat es dann endlich geklappt. Das Schreiben selbst war natürlich viel Arbeit, vor allem mit Blick auf den Lesefluss. Das hat viel Zeit in Anspruch genommen, weil ich viel Wert auf die Sprache und die Form des Textes lege. Aber ich freue mich jetzt schon auf das nächste Buch!

Carla Kaspari, geboren 1991, hat in Bonn und Paris Literatur- und Musikwissenschaft studiert. Sie lebt in Köln und arbeitet als freie Autorin. Ihre Texte erscheinen in unterschiedlichen Publikationen und Formaten. Ihr Debütroman „Freizeit“ ist als Taschenbuch erschienen bei Kiepenheuer & Witsch und hat 304 Seiten.

Interview
Kristina Schulze

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