Im Porträt: Helios Theater

KinderkramBühneHamm
Gleich am Eingang des Hammer Kulturbahnhofs wird klar: Hier weht ein etwas anderer Wind. Repräsentatives Marmor oder güldene Treppengeländer, wie man sie in vielen Theatern sieht, gibt es hier nicht. Die Atmosphäre ist warm, einladend – und ideal für Kinder: Ticketschalter, Bänke und Tische im Foyer sind extra niedrig gebaut. An den rot-weißen Wänden hängen Bilder, Fotos und Plakate, bunte Neonröhren tauchen die Räume in ein angenehmes Licht.

„Die meisten Theater sind gar nicht darauf eingerichtet, dass da mal eine Kinderhorde durchtobt“, sagt Michael Lurse. „Im Helios Theater ist das Gegenteil der Fall.“ Lurse ist Theatermensch durch und durch. Zusammen mit Regisseurin Barbara Kölling hat der gelernte Puppenspieler das Helios Theater 1989 in Köln gegründet. Von Beginn an haben die beiden ihr Programm interkulturell gestaltet und sich für kontroverse Geschichten interessiert. Das Stück „Und wer fragt mich?“ einer türkischen Autorin erzählte etwa von einem Mädchen, das zwangsverheiratet werden sollte. Anfang der 90er-Jahre war das kein Thema, über das in der deutschen Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. Auch nicht auf der Bühne.

Standen zunächst noch Produktionen für Erwachsene auf dem Spielplan, verlagerte sich der inhaltliche Schwerpunkt bald zu den Kindern und Jugendlichen. 1997 zog das Helios Theater schließlich nach Hamm, und damit „mitten hinein in die westfälische Provinz“. Strukturell hatte die aber einiges zu bieten: „Es gab große Freiräume für unsere Ideen. Und viele junge Menschen, die nur selten mit Kunst und Kultur in Berührung kamen“, sagt Lurse. Zusammen mit Barbara Kölling hat er am Rande des Ruhrgebiets etwas völlig Neues geschaffen: Das Helios Theater war damals nicht nur eines der ersten reinen Kindertheaterhäuser in NRW. Sondern auch ein Ort mit einer ganz besonderen Philosophie. Das ist es bis heute.

Denn im Helios begegnet man den jungen Zuschauer*innen auf Augenhöhe, lässt sich ein auf die Bedürfnisse von Kleinkindern und pubertierenden Jugendlichen. Viele von ihnen bringen eigene Seherfahrungen mit, sind durch Fernsehen oder YouTube geprägt. Sie müssen erst lernen, Theaterstücke zu „lesen“. Einfach nur passiv im Sessel sitzen, ein Stück konsumieren und dann stumpf wieder nach hause gehen - das gibt es im Helios nicht. „Wir möchten unser Publikum inspirieren“, sagt Lurse. „Es soll Freude entwickeln am mitfühlen und mitdenken." Zu jeder Produktion werden deshalb Workshops, Diskussionsrunden oder Ausstellungen angeboten. In Werkstätten können Kids und Teenager außerdem eigene Inszenierungen und Performances entwickeln und später öffentlich präsentieren. Schon die Allerkleinsten nehmen im Helios aktiv am Theater teil: Sie sitzen gebannt im Zuschauer*innenraum, schauen sich die speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Inszenierungen an - um im Anschluss selbst auf die Bühne kommen zu dürfen. Inspiriert von den Kunst-Performances der 1970er werden Zweijährige dann im sogenannten „Materialtheater“ zu Forscher*innen, dürfen Erde auf die Bühne schütten oder die Konsistenz von Wasser untersuchen. In „Holzklopfen“ unternehmen sie zusammen mit einem Percussionist und einem Puppenspieler eine Reise in die Welt der hölzernen Klänge und Bilder.

Das Helios Theater hat noch dazu keine Angst davor, junge Menschen mit komplexen Themen aus Ökologie und Gesellschaft zu konfrontieren. Selbst ein klassischer Stoff wie „Antigone“ wird für eine lebendige Diskussion über Werte und Moral genutzt. Feministische Geschichten, die Barbara Kölling unter anderem anhand von Frauenbiographien aus den 1920er Jahren erzählt, gehören ebenfalls zu den zentralen Inhalten des Spielplans. So wird etwa das Stück „Friedl Dicker“ für Jugendliche ab 14 Jahren gezeigt. Die progressive Künstlerin prägte das Weimarer Bauhaus. 1944 wurde sie in Auschwitz ermordet.

Von Hamm in die ganze Welt

Rund neun Inszenierungen gehören aktuell zum festen Repertoire des Helios Theater. Jedes Jahr entstehen zudem ein bis zwei neue Produktionen. Egal, ob für die ganz Kleinen oder für Teenager - alle Stücke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Theater. Das zeigen schon die mitwirkenden Künstler*innen. Sie kommen aus allen möglichen Kultursparten - vom Schauspiel, Figurentheater und Tanz bis hin zu Musik und Bildender Kunst. Regelmäßig lädt das Helios auch zu Symposien und Fachtagungen ein, um über aktuelle Fragen des Theaters zu diskutieren. Daran anknüpfend ist das kleine Hammer Theater auch aktives Mitglied in globalen Netzwerken wie dem EU-geförderten „Mapping“-Projekt, das sich wissenschaftlich mit dem Theater für kleine Kinder beschäftigt.

Längst hat sich das Helios Theater mit seinen Produktionen und Projekten international einen Namen gemacht. Weit über die Grenzen Nordrhein-Westfalens bekannt ist das Format „hellwach“ - ein internationales Theaterfestival für Kinder und Jugendliche. Seit 2002 findet es alle zwei Jahre in der so genannten Hellweg-Region zwischen Unna und Lippstadt statt. Theaterleute aus der ganzen Welt sind dann zu Gast und bringen die ganze Bandbreite an künstlerischen Erzählformen mit: Tanz, Musik und Schauspiel, Figuren- und Materialtheater oder Bühnenstücke, in denen auf Sprache verzichtet wird. Umgekehrt sind aber auch Produktionen vom Helios Theater international unterwegs und waren unter anderem schon in Japan, Kanada oder Indien zu sehen.

Im Helios Theater legt man viel Wert auf einen spielerischen, wertschätzenden Zugang zum jungen Publikum. Ganz bewusst suche man den Dialog, sagt Lurse. Für ihn ist Theater immer auch eine Form der Kommunikation, eine Einladung an alle Menschen, egal wie alt sie sind oder wo sie herkommen. Als 2015 in ganz Europa über die sogenannte „Flüchtlingskrise“ diskutiert wurde, richtete das Helios kurzerhand Erzählcafés ein, startete mehrere Theaterprojekte in Flüchtlingsunterkünften.

Vor allem Kinder und Jugendliche aus den sogenannten „bildungsfernen Schichten“ wüssten häufig gar nicht, dass sie im Theater willkommen sind, sagt Lurse. „Also müssen wir ihnen beweisen, dass dies auch ihr Ort ist, und dass man nicht Gymnasiast*in sein muss, um ins Theater zu gehen.“ Solche fest verschlossenen Türen aufzustoßen gehört für Lurse zu den wichtigsten Aufgaben des Helios Theaters. Schulen nehmen dabei eine Schlüsselposition ein: Helios-Theaterscouts sind regelmäßig in den örtlichen Schulen unterwegs und laden zu gemeinsamen Projekten ein. Viele Kinder und Jugendliche entdecken so das Theater als einen Ort, der nichts mit Unterricht oder Leistung zu tun hat. Sondern mit Freiheit.

Das Helios Theater in Hamm

Text
Kristina Schulze
Fotos
Markus J. Feger

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