Bazon Brock

Kunst
Als Ästhetiker ist Bazon Brock ein „Spurensucher“. Künstler ist er selbstverständlich auch. Denn „das ist eine Lebenshaltung“. Sagt Brock. Nur Kunstwerke produziere er eben nicht. Dafür demonstriere er in seinen Aktionen, „wie man mit Hilfe künstlerischer Techniken Lebensanstrengungen bewältigen kann.“ Der Kunsttheoretiker, geboren 1936, redet, schreibt, diskutiert über Kunst, über Themen aus Literatur, Theater, Film, Fernsehen, Hörfunk – und das seit Jahrzehnten.

Außer diesem „Lebenswerk“ besitzt Brock „nichts auf Erden“. Selbst Wohn- und Schlafzimmer in Wuppertal seien gemietet – „eine philosophische Einsicht“. Bazon Brock, Adorno-Schüler, emeritierter Professor für Ästhetik an der Bergischen Universität Wuppertal, Kunsttheoretiker, Kunstvermittler, Kulturkritiker, selbsternannter „Generalist“, „Beweger“, „Selbstfesselungskünstler“, zieht Bilanz. Vier Stunden redet er, scheinbar mühelos, unterbrochen von nur einer längeren Pause. Er verspricht sich nicht, ab und zu hilft ein ehemaliger Student seinem Gedächtnis aus, mit einem Wort, einer Jahreszahl.

Vier Stunden Welterklärung von den Etruskern bis heute, vom Europa des 13. Jahrhunderts bis zu seinem nahen Untergang – was liegt da näher, als sich schon einmal jetzt vorzustellen, welche „archäologischen Funde chinesische Forscher in 80 Jahren in Europa ausgraben werden“: Tropfenfänger für Kaffeekannen, Wurstaufspießer, Herrensockenhalter oder Brustwarzenschoner. Aber nicht nur China, auch die „islamische Welt zwingt uns, zu überlegen, was wir mit ins Grab nehmen, wenn Europa verschwindet“. Also sammelt Brock „Grabbeilagen für seine Generation“ mit der Aufforderung, „jeder möge dazu sein Wohnzimmer aufräumen.“

Jürgen Johannes Hermann Brock wurde am 2. Juni 1936 in Stolp/Pommern, heute Polen, geboren. Sein „Grunderlebnis“ ist der Krieg. Mit drei Geschwistern und der Mutter gelang die Flucht auf hoher See übers Meer, danach das Internierungslager in Dänemark. Dänemark war für Brock eine Schule des Lebens: „Nur, wenn man alleine kämpft, kommt man durch“, so seine Erkenntnis, „und ich bin durchgekommen.“ Die Brocks siedelten sich in Schleswig-Holstein an. Die Mutter wurde krank, die Kinder wuchsen in fremden Familien auf. Die Flüchtlings-Problematik – auch die war prägend. Resultat dieses Außenseiterlebens: Ab dem 14. Lebensjahr hat Brock „völlig allein“ gelebt. In die Schulzeit fiel auch seine Namensänderung: „Bazon“, aus dem Griechischen bazein (schwätzen), der Schwätzer, ein Lehrer hat ihn so genannt. Sein Freund Hubert Burda hatte in seiner Laudatio zum 60. Geburtstag die Redebegabung von Brock auf den Punkt gebracht: „auf die Leute peitschen“.

Nach dem Studium arbeitete Brock als Dramaturg in Darmstadt, Bern und Luzern, 1965 begann seine Lehrtätigkeit im Fach Ästhetik, zuerst in Hamburg, dann in Wien und Wuppertal. Er hat die „Besucherschulen“ auf der documenta in Kassel erfunden und Aktionen mit Künstlern gemacht, „Happenings“ genannt. Ein Happening sei ein Ereignis, sagt Brock. Mit Joseph Beuys sei das aber viel mehr gewesen: Ereignis mit Epiphanie, mit Erscheinung. Mit Beuys hat Brock die „Deutsche Studenten Partei“ an der Kunstakademie Düsseldorf gegründet und in Aachen am 20. Juli 1964 eine der spektakulärsten Aktionen gemacht. Beim 24-Stunden-Happening 1965 in Wuppertal hat er neben Beuys, der stundenlang auf einer kleinen Kiste neben einem Stück Fett kauerte, auf dem Kopf gestanden.

Dass der damalige Wissenschaftsminister Johannes Rau den Kunstprofessor Joseph Beuys aus der Kunstakademie wies, hindert Bazon Brock nicht, den späteren, kürzlich verstorbenen Bundespräsidenten als „einzigen Politiker, der überzeugt hat“, zu preisen. Als Gründer der Wuppertaler Universität habe Rau dafür gesorgt, dass einige Fächer wie Mathematik, Physik, Literaturwissenschaften hervorragend besetzt worden seien. Natürlich auch das Fach Design: Rau hat Brock 1980 in diesen Fachbereich geholt. Jedes Jahr hat Brock über 100 Veranstaltungen außerhalb der Universität absolviert, „ohne eine einzige Reisekostenabrechnung“. Und in der Uni hat er keine Vorlesung ausfallen lassen, noch vom OP-Tisch aus hat er gearbeitet.

Nur im direkten Frage- und Antwortspiel tut Brock sich nicht leicht. Ob er im schweren Ledersessel sitzt oder immer wieder aufsteht und hin und her schreitet: Er doziert. Für Zwischenfragen bleibt kaum Platz. Und wenn, dann sind sie Anlass für weitere ausufernde Erklärungen. So reihen sich die Dinge im Wohnzimmer-Seminar aneinander: die „Gespensterherrschaft von Konjunktur und Wirtschaft“; die Bankrotterklärung einer Gesellschaft ohne „humanen Gestaltungswillen“; ein Kapitalismus, der mit selbst hergestellten Gesetzen daherkommt, statt mit einer funktionierenden Rechtsordnung; Manager, die groteskerweise ihre Arbeiter entlassen und damit ihre eigenen Kunden verlieren; politische Korrektheitsfanatiker, die jede Kritik an einer gescheiterten Integrations- und Migrationspolitik diffamieren und damit auch ihn, Bazon Brock.

Für die Medien sei er, Brock, sowieso der „leibhaftige Buh-Mann“. Während er vor 20 Jahren noch in den großen Zeitungen und im Fernsehen präsent war, ist er heute nicht mehr gefragt. Auch in anderen Institutionen gibt es kaum Echo auf Bazon Brock – darunter leidet er. Doch er bleibt, was er immer war: links, human, liberal. Sein Motto heißt Carpe diem. Kein Tag ohne eine Zeile zu schreiben und hin und wieder mit etruskischem Lächeln davon zu träumen, wie er anno 1963 in Venedig bei den Filmfestspielen mit Monica Vitti die Hoteltreppen hinuntergeschritten ist.

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