Buchtipps zum Frühlingsanfang

Literatur
Überall auf dem Globus feiern am Weltgeschichtentag Literaturliebhaber*innen die Erzählung. Passend dazu haben wir Buchtipps zusammengestellt, mit denen wir die Welt bereisen. Mit dabei: ein Wiener Cafébesitzer, eine Washingtoner Autorin und ein Dortmunder Teenager.

Robert Seethaler: Das Café ohne Namen

Wie ein Liebesbrief an die Erzählung liest sich Robert Seethalers Roman, in dem die Kraft der Worte wichtiger erscheint als ein ausgeklügelter Plot: Es ist 1966 in Wien und der junge Robert Simon hat genug davon, als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt zu arbeiten. Als ihm ein leerstehendes Lokal in der Nähe des Marktes auffällt, steht seine Entscheidung fest: Er will ein Café eröffnen, das mangels origineller Ideen einfach ohne Namen bleibt.

Allein in diesem Detail spiegelt sich das Wesen der Geschichte wider, die sich nichts aus abenteuerlichem Storytelling macht, sondern die kraftvolle Einfachheit der Sprache feiert. Es passiert nicht viel und wird doch nie langweilig: Wir begleiten Robert Simon in sein Café, riechen im Winter den würzigen Punschgeruch, spüren im Sommer die Hitze brodeln und lernen einen Reigen an bunten Figuren kennen, die der Erzählung Leben einhauchen: Da sitzen Boxer und Fischhändler, Fleischermeister und Gaswerkskassierer an Tisch und Theke, trinken Zwetschgengeist und kaltes Bier, spielen Karten und erzählen ihre Geschichten. Es sind genau diese Geschichten, die den Roman so warmherzig machen. Seethaler erzählt von gescheiterten Existenzen, feinen Damen und Alkoholkranken, von Sportlern und Schnöseln, von liebenswerten Wahnsinnigen und wahnsinnig Liebenden. Seine fast schon altmodische Sprache erinnert an Erzähltraditionen des 20. Jahrhunderts – nur viel entschlackter und dadurch herrlich leicht. Es tut geradezu gut, anstelle von komplexen Psychogrammen mal wieder ganz klare Figuren zu lesen: „Ein riesiger Mensch erschien auf der Türschwelle, die kurzen schwarzen Haare ungekämmt, die Nase eingeschlagen, darüber kleine, wässrig-blaue Augen […] ein Held in kurzen Seidenhosen, in dessen von Schweiß und Öl glänzender Haut sich die Sonne spiegelte.“ Kopfkino garantiert.

Robert Seethaler wohnt in Berlin und Wien und genießt für seine Publikumserfolge wie „Der Trafikant“ und „Ein ganzes Leben“ als Autor internationales Renommee. Seine Bücher wurden in über 40 Sprachen übersetzt. Das Café ohne Namen ist bei claasen erschienen und hat 288 Seiten.

Rebecca F. Kuang: Yellowface

Was alles passiert, bis ein neues Buch auf unserem Nachtschränkchen landet, ist vielen von uns gar nicht klar. Das Verlagswesen ein Mysterium. Rebecca F. Kuangs frisch erschienener Roman „Yellowface“ öffnet uns die Tür, lässt uns herein in die Welt der Buchbranche. Er zeigt uns auf, was junge Autor*innen auf sich nehmen, um mit ihrem Debüt DEN Hit zu landen, den wir schließlich in den Händen halten. „Yellowface“ ist deshalb gewissermaßen ein Metaroman. Die Geschichte der Geschichte.

June Hayward ist eine junge Autorin in Washington, deren erster Roman ein Flop war. Ganz im Gegenteil zu den Büchern ihrer Kommilitonin Athena Liu, mit der sie zwar nicht wirklich befreundet ist, aber aus Gewohnheit Cocktails trinken geht. Athena ist jetzt schon ein Star im Literaturbetrieb, sie hat den besseren Verlag, die bessere Agentur, die bessere Instagramcommunity und vor allem – die besseren Geschichten. Als Athena durch einen absurden Erstickungstod vor Junes Augen stirbt, handelt diese impulsiv: Sie klaut Athenas Manuskript zu „Die letzte Front“, einem Roman über chinesische Arbeiterkorps im Ersten Weltkrieg und gibt ihn wenig später und überarbeitet als ihren eigenen aus. Der Erfolg ist überwältigend –ebenso der Shitstorm. June wird nicht nur kulturelle Aneignung einer chinesischen Geschichte vorgeworfen, plötzlich tauchen auch Gerüchte auf, dass „Die letzte Front“ gar nicht von ihr sei. Rebecca F. Kuang ist mit dieser originellen Geschichte ein Plot gelungen, der den Roman zum brillanten Pageturner macht – dringend will man wissen, ob das Geheimnis gelüftet wird. Dabei webt die Autorin gekonnt wesentliche Diskurse des aktuellen Kunstbetriebs ein: Was bedeutet es, einem Shitstorm in den Sozialen Medien ausgeliefert zu sein? Welchem Druck ist man ausgesetzt? Wer ist Freund, wer ist Feind? Worüber darf man schreiben und vor allem: Wie weit will man gehen?

Rebecca F. Kuang ist New-York-Times-Bestsellerautorin und wurde vielfach für ihr Werk ausgezeichnet. „Yellowface“ ist bei Eichborn erschienen und hat 383 Seiten.

Sina Scherzant: Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne

Coming-of-Age Romane gibt es viele. Doch wenn man nach einer weiblichen Teenager-Protagonistin sucht, wird die Auswahl schon dünner. Sina Scherzant stellt in ihrem Debütroman (hier geht's zu einem Interview mit ihr) eine solche Protagonistin in den Mittelpunkt, die von ihrer Pubertät in den 2000ern in Dortmund erzählt. Ein Must-Read für alle Millennials aus dem Ruhrgebiet. Bro’Sis, Big-Brother und BVB-Referenzen garantiert!

Katha ist 14 Jahre alt, als sich ihre Eltern trennen und sie 2003 mit ihrer Mutter und der kleinen Schwester nach Dortmund zieht. Dass sie die Ehe nicht retten konnte und die Schwester gegen die neue Situation revoltiert, betrübt Katha, die selbsternannte „Lebenshandwerkerin“, die es immer allen Recht machen, nur nicht zu viel Raum einnehmen will. Durch ihre Anpassungsfähigkeit findet sie in der Schule schnell Anschluss, wird Teil einer Mädchenclique. Das Sagen hat vor allem die toughe Sofie: Geister werden beschworen, heimlich Zigaretten hinter der Sporthalle geraucht und Klassenlehrerinnen mit Coolness ignoriert. Doch natürlich ist all die Lässigkeit nur Fassade. Die erwachsene Katha weiß das. Sie erzählt die Geschichte retrospektiv und ordnet ihre Erinnerungen ein, weiß heute, dass die Haarstoppel in der Bikinizone kein Grund für schambehaftete Freibadbesuche sein sollten. Und dass sie nicht schuld daran war, dass ihr Schwarm sie rabiat mit dem Finger penetriert hat. 

Es ist die feministische Perspektive auf eine weibliche Protagonistin in ihrer Teenagerzeit, die den Roman so besonders macht. Dieser feministische Unterton schwingt immer mit, ohne aber je zu überborden. In der Geschichte findet er vor allem in der Figur Angelica seine literarische Gestalt: „Lica" ist Sofies Mutter und lebt das Leben einer unabhängigen lesbischen Frau in einer Art Petterson-und-Findus-Oase inmitten des Dortmunder Betongraus. Sie wird zu Kathas Vorbild, ihrem Mutterarsatz, versorgt sie mit liebevollen Weisheiten. Als Lica schließlich eine tragische Diagnose erhält, erschüttert Kathas Leben ein emotionales Erdbeben, das sich kaum in Worte fassen lässt. Scherzant findet für ihren Roman eine humorvolle und dennoch hochgradig einfühlsame Sprache, erinnert sich sensibel an Sorgen zwischen Gilette-Werbung und Male Gaze. 

Die 1991 im Ruhrgebiet geborene Sina Scherzant ist Podcasterin, Drehbuchautorin und steckt hinter dem Comedy-Account „alman_memes2.0" bei Instagram. Ihr Debütroman „Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne“ ist bei park x ullstein erschienen und hat 368 Seiten.

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