Schon in analogen Zeiten machte sie sich den Algorithmus zunutze für die eigene Malerei. Und als Vera Molnàr 1968 den Computer als Werkzeug und Assistenten für sich entdeckte, verlegte sie das Atelier und führte ihre künstlerischen Experimente bald im Forschungslabor eines Computerherstellers durch. Damals nahmen Rechner noch ganze Räume ein. Und selbst 1985, als Andy Warhol erste Porträts am Bildschirm schuf, war die Maus in der Hand noch ein völlig neues, unbekanntes Ding für den Künstler. Heute, in unseren „postdigitalen Zeiten“, sind die digitale Technik und ihre Instrumente längst Selbstverständlichkeiten. Nicht mehr wegzudenken aus dem Alltag.
Digitales und Analoges scheinen untrennbar verschmolzen. Auch in der Malerei, die jetzt in der Ausstellung „Zwischen Pixel und Pigment“ in den Fokus rückt. Allerdings denken die Kurator*innen in Herford und Bielefeld dabei weit über Pinsel und Pigment hinaus. Malerei könne auf der Leinwand, aber ebenso gut im Lightroom, dem Bildbearbeitungsprogramm von Adobe, stattfinden, erklärt Benedikt Fahrnschon von der Kunsthalle Bielefeld, der die Schau zusammen mit Kristin Kreisel vom Marta Herford kuratiert hat.
Bei der Auswahl der 25 Künstler*innen und ihrer Arbeiten interessierten die beiden denn auch kaum Methoden oder Materialien, die Verwendung fanden. Entscheidend war vielmehr die malerische Denkweise. Und die lässt sich selbst bei einem Künstler wie Tim Berresheim ausmachen. Eigens für die Ausstellung ist der Aachener Pionier computerbasierter Kunst mit einem Handscanner durch die Bielefelder Sammlung gestreift und hat die Oberflächen von Gemälden abgescannt. Die Datensätze wurden anschließend in den Rechner überführt und zur Grundlage für eine neue, digital erstellte Malerei, die nun geprintet und gerahmt präsentiert wird.
Fast noch etwas komplizierter wirkt der »malerische« Schaffensprozess bei Rafaël Rozendaal, der seine Werke mit Hilfe eines selbst entwickelten Browser-Plug-ins erstellt, das Informationen auf Websites in knallbunte geometrische Kompositionen übersetzt. Täglich ist der Künstler mit dem Programm im Netz unterwegs und generiert auf seine Weise tausende von Bildern. Einige ausgewählte lässt er in Jacquard-Wandteppiche umsetzen, wie sie nun auch in der Ausstellung zu sehen sind und auf die Verwandtschaft von Computer und Webstuhl anspielen.
Zwischen Vera Molnárs frühen Experimenten im Computer-Labor und den hochkomplexen digitalen Arbeiten von zeitgenössischen Künstler*innen wie Berresheim oder Rozendaal liegt mehr als ein halbes Jahrhundert. Und ein riesiges Thema, für das ein Haus allein kaum ausreichend Kapazitäten geboten hätte. Umso erfreulicher die Kooperation zwischen Bielefeld und Herford. Manche der Künstler*innen sind hier, andere dort und einige auch in beiden Häusern präsent. So Corinne Wasmuht, die wohl als Schlüsselfigur zum Thema Pixel und Pigment durchgehen kann.
Bielefeld zeigt erstmals ein ganz neues Werk von ihr. Während das Marta zurückschaut auf das Gemälde »Gewalt«, für das Wasmuht 2001 zum ersten Mal den Computer benutzte. Zuvor hatte die 1964 in Dortmund geborene Malerin Filmstills und Bilder aus Büchern oder Zeitungen gesammelt, per Hand ausgeschnitten und zusammen mit eigenen Fotos zu detailreichen Vorbildern collagiert. Seither aber benutzt die Malerin den Computer: Im Atelier bedient sie sich mehrerer Bildschirme und sampelt die Motive. Im »Gewalt«-Gemälde etwa kommen heruntergeladene Pressefotos vom Nahost-Konflikt zusammen mit Aufnahmen blutiger Unruhen in Los Angeles und einem sternklaren Nachthimmel. Wasmuht kombiniert und komponiert, schichtet und verschiebt. Dann erst kommt die Malerei – altmeisterlich und im Großformat.
Auch Vivian Greven malt weiterhin klassisch – und virtuos. Dabei greift die Düsseldorfer Künstlerin oft auf Themen und Motive aus der Kunstgeschichte zurück. Sammelt Material im Internet, erforscht und hinterfragt alte Vorbilder ebenso wie gegenwärtige Verhaltensmuster. Sie klopft etwa Geschichten aus der Mythologie ab auf ihre zeitlose Relevanz, die bis in die digitale Gegenwart reichen kann. Amor und Psyche zum Beispiel haben ihr und unserer Zeit einiges zu sagen. Wenn Greven das mythologische Paar mit malerischer Akkuratesse auf die Leinwand bringt, zitiert sie dabei offensichtlich die Ästhetik digitaler Bildwelten: Makellose Körper, geglättete Gesichter, Bildfragmente, die aneinander gesetzt werden, lassen an digitale Bildbearbeitungsprogramme denken; hier und da baut Greven sogar typische Fehler ein, wie sie sich bei Photoshop & Co einschleichen.
Mit Mitteln wie diesen werfe die Malerin nicht zuletzt Fragen auf – nach dem Individuum und auch nach einer Körperlichkeit im digitalen Raum, erklärt Kuratorin Kreisel. Zusammen mit ihrem Kollegen hat sie sich vorgenommen, in der Schau ein möglichst breites Spektrum an Mitteln und Wegen abzubilden. So begegnet man etwa Wade Guyton, der digitale Bilder auf grundierte Leinwand druckt und Avery Singer – bekannt für „Malereien“, die sie mit 3D-Modellierungssoftware und computergesteuertem Airbrush erstellt hat. Oder auch Pieter Schoolwert, dessen Gemälde mit manipulierten Figuren bevölkert sind, die von der Entfremdung des Körpers in digitalen Zeiten erzählen.
Natürlich hätte man die Häuser auch mit ganz anderen Positionen füllen können, bemerkt Fahrnschon. Schließlich sei das Digitale aktuell allgegenwärtig in der Kunst. Er komme gerade von der Art Basel, wo man an jeder Ecke auf dieses Thema gestoßen sei. Manch eine begegnet den technologischen Neuigkeiten mit Skepsis, manch einer mit Euphorie. Häufiger scheint aber, auch in den Werken der Ausstellung, beides auf: Begeisterung und Bedenken. Wenn Künstler*innen mit Leidenschaft die technischen Möglichkeiten des Digitalen erforschen und nutzen, in ihren Werken aber gleichzeitig die beängstigenden Folgen der Digitalisierung zur Diskussion stellen.