Das französische Original heißt „Les jeunes amants“. Das ist viel besser, auch viel einfacher, als der etwas sentimental nach ZDF am Sonntagabend klingende
Titel „Im Herzen jung“. Das Französische spielt mit der Doppelbedeutung: Liebende, die erst seit kurzem, seit jüngstem ein Paar sind, oder von ihrem Alterher junge Liebende. Letzteres trifft für beide nicht zu: nicht für Shauna, nicht für Pierre. Sie ist 70, er 45. Also zwei gelebte, gefüllte, von Erfahrungen, auch von Verlusten geprägte Leben. Sie hat erfolgreich als Architektin gearbeitet und zieht sich in ihr Haus am Meer zurück, wenn sie nicht in Paris ist. Den Mediziner und Onkologen beschäftigt gerade der Fall einer noch jungen, zum wiederholten Mal an Brustkrebs erkrankten Patientin.
Über einen gemeinsamen Bekannten lernen sich Shauna Loszinsky und Pierre Escande kennen, und es wäre falsch zu sagen: Ein Blick und die Liebe bricht aus. Es ist keine amour fou, wie sie Fanny Ardant, die Darstellerin der Shauna, vor 40 Jahren neben Gérard Depardieu für ihren Lebensgefährten François Truffaut gespielt hat. Oder doch nur insofern fou / verrückt, als der Altersunterschied eine Rolle spielt. Aber womöglich empfindet Pierre ihn weniger als Shauna selbst, die das Alter auch gelehrt hat, dass Enttäuschungen das zu Erwartende sind und Alleinsein die wahrscheinliche Zukunft; und die nicht ohne Selbstbegegnung im Spiegel, nicht ohne Angst dieses Glück annimmt, in dem auch die Gefahr der Verletzung liegt und Bedrohung durch ein Ende. Übrigens auch des Endes durch den Tod, der in dem Film schon durch die Diagnose tödlicher Krankheit anwesend bleibt.
Der Möglichkeitsraum, bevor sich etwas konkretisiert, also wo das Staunen des Anschauens regiert und noch nicht das Wort herrscht, gestaltet sich hier sehr
schön und macht das Geheimnis spürbar, dass sich ereignet, wenn wir von Liebe sprechen, so wenig genau zu fassen es sein mag. Das Leinwandbild ist dabei eine Hilfe, weil es übergroß erscheint und damit das adäquate Format hat.
Die Regisseurin Carine Tardieu, die das Projekt von der ebenfalls an Brustkrebs erkrankten und verstorbenen Sólveig Anspach übernommen hat (der der Film gewidmet ist), muss nicht nur eine ‚unmögliche’, Konflikt und Widersprüche aushaltende Liebesgeschichte erzählen, sondern musste sich genau überlegen, wie sie diese filmt, welche ästhetische Setzung, welche Perspektive sie wählt, eher die der Konvention oder die des Skandals. Eine Frage der Einstellung.
Da kommt ihr Fanny Ardant entgegen. Die ebenso wie Catherine Deneuve und Isabelle Huppert immer auch diejenige spielt, die sie tatsächlich in unserer (und in ihrer eigenen?) Wahrnehmung ist: Heroine des Kinos seit einem halben Jahrhundert; Idol nicht nur des französischen Films, sondern auch der Republik Frankreich. Ardant, die Frau von Truffaut, die Schauspielerin bei Alain Resnais, Schlöndorff und vielen anderen und auch eine der „Acht Frauen“ bei François Ozon darf auf ihre Aura vertrauen, die einen diskreten Abstand zur Realität hält und immer auch mythische Präsenz behauptet.
Der Mann ist stabiler, wirklichkeitsverbundener, nüchterner und doch mit gereiftem Gefühl und Skrupeln bei der Sache, denn Pierre ist verheiratet und hat zwei Kinder. Verkörpert wird er von Melvil Poupaud, ebenfalls ein Star in Frankreich, der schon mit zehn Jahren vor der Kamera stand, als Halbwüchsiger mit Eric Rohmer gedreht hat und später dreimal mit Ozon. Dass Pierres Frau Jeanne (Cécile de France), die, wenn man so sagen wollte, auf die Zeit setzen könnte, eine gewisse Ohnmacht empfindet angesichts der ‚Rivalin’, mit der sie so wenig und anders nicht konkurrieren kann, als sie es mit einer sehr viel jüngeren könnte, ist ein interessantes Detail.
Aber ist ein Dritter in einer Liebe nicht immer machtlos? Was Sinn ergibt, wie Jeanne anmerkt, oder eben nicht Sinn ergibt, ist keine Kategorie: Liebende leben nicht nach den Regeln der Ratio. Oder, um es mit Erich Frieds berühmtem Gedicht zu sagen: »Es ist Unsinn / sagt die Vernunft / Es ist was es ist /sagt die
Liebe«.