BühneSchauspiel

Mithu Sanyals „Identitti“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

bis 16.06.2024
Mit „Identitti“ hat Mithu Sanyal den Roman unserer Zeit geschrieben. Für das Düsseldorfer Schauspielhaus hat sie ihn nun selbst adaptiert. Dabei ist eine Bühnenversion entstanden, die sich keineswegs hinter ihrer Vorlage verstecken muss.

Es ist ein Coup für die Medien. Die ebenso anerkannte wie umstrittene Professorin Saraswati, die an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität einen Lehrstuhl für Postkoloniale Studien hat, ist entgegen ihrer Selbstdarstellung keine Person of Color, keine PoC. Sie wurde als Tochter eines weißen Zahnarztehepaares geboren und trägt eigentlich den Namen Sarah Vera Thielmann. Eine Nachricht, die wie eine Bombe einschlägt. Ein eigentlich eher unpassendes Bild, aber in diesem ganz speziellen Fall doch sehr treffend. Denn diese Enthüllung löst nicht nur in den sozialen Medien und auf dem Campus einen Sturm der Entrüstung aus. Sie zerstört auch die Illusion von einer Welt, in der Saraswastis Student*innen glaubten, endlich einen Platz gefunden zu haben.

Besonders hart trifft diese Nachricht die Studentin und Bloggerin Nivedita. Als im Ruhrgebiet geborene Tochter eines Inders und einer Polin hatte sie immer das Gefühl, keine eigene Identität zu besitzen. Sie gehörte nirgendwo wirklich dazu, bis sie Saraswati kennengelernt hat. Entsprechend wütend und ratlos ist die von Cennet Rüya Voss gespielte Nivedita. Also beschließt sie, ihre Professorin mit ihren Fragen zu konfrontieren. Während die anderen Student:innen auf der Straße und im Netz protestieren, quartiert sie sich in Saraswatis Wohnung ein, um Antworten zu bekommen und ihre Welt neu zusammenzusetzen.

Soweit zur Handlung des Romans, die Sanyal natürlich in ihrer Stückfassung aufgreift, aber doch ganz anders erzählt. Während der Roman seine Geschichte recht geradlinig erzählt, springt Kieran Joels Inszenierung fortwährend zwischen den Zeiten und Orten hin und her. Auf Justus Saretz Breitwandbühne, in deren Zentrum Saraswatis Wohnung mit dem Blick über Düsseldorf steht, die wiederum seitlich von angedeuteten WG-Zimmern gerahmt wird, findet alles parallel statt. Dabei verflüssigt sich nicht nur die Handlung der Erzählungen, auch die starren Haltungen, die Sanyal aufeinanderprallen lässt, werden so durchlässiger und offener.

Das Spiel auf der Bühne verschafft allen Beteiligten eine größere Freiheit. Darauf weisen auch mehrere Figuren hin. Mehrfach betonnen sie, dass sie Theater spielen und was das für sie und ihre Möglichkeiten bedeutet. Entsprechend ist in dieser Bühnenfassung alles möglich. Nivedita kann sich für einen Moment in einen alten weißen Mann verwandeln. Saraswati wird von zwei Schauspielerinnen verkörpert, die auf den ersten Blick alle Fragen nach ›race‹ und ›Identität‹ zu beantworten scheinen, diese Kategorien in Wahrheit aber noch weiter durcheinanderwirbeln. Und die Göttin KaIi tritt in Gestalt von Serkan Kaya auf. Dieses Spiel frei flottierender Identitäten setzt noch einmal eine andere Energie als seine Vorlage frei. Die oft überdrehten Szenen verbinden sich zu einem so amüsanten wie tiefgründigen Plädoyer für einen offeneren, nicht so verbissenen Umgang mit identitätspolitischen Fragen.

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Mithu Sanyals „Identitti“ am Düsseldorfer Schauspielhaus

bis 16.06.2024

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