Bühne

Georgette Dee – Porträt der Diseuse

bis 20.04.2025
Wenn Georgette Dee als Gast auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses stehen und die Mutter von Oscar Wilde darstellen wird, spielt sie eine Rolle, selbstverständlich. Im Grunde aber eine Doppelrolle, nämlich auch diejenige der Kunstfigur Georgette Dee.

In die hinein hat sich die 1958 in der Lüneburger Heide geborene, in Berlin lebende Sängerin, Interpretin und Autorin verkörpert. Sie, die Heroine der raren Spezies Diseuse in der Tradition von Künstlerinnen wie Blandine Ebinger und Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Hanne Wieder oder Ingrid Caven.

Souverän beglaubigt sie, wovon sie singt, wenn mit ihr der letzte Stern der Müden aufgeht, die Liebe eine Fatalität ist, das Leben sich um seiner selbst feiert und das ‚trotzdem’ sich zum Prinzip setzt, wenn sie Einsamkeit und Herzweh, Leere und Angst aufruft, wie ein antiker Augur die "Großen weißen Vögel" ausdeutet und das vermeintlich Illegale des Fühlens ins Recht setzt. In Friedrich Holländers „Allein in einer großen Stadt“ oder „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ scheint bei ihr hinter jeder Liedzeile, die endet, hinter jeder letzten Silbe, die sie dehnt, ein schwarzer Schleier noch einen Atemzug länger zu wehen. So zelebriert sie die kleinen Lieder, die aus den großen Schmerzen werden.

Drei Begriffe charakterisieren den Dichter des „Dorian Gray“, Oscar Wilde, der 1900 im Pariser Exil starb, nachdem der einst so Gefeierte 1895 in London wegen „Sodomie“ zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und anschließend als gebrochener Mensch außer Landes gegangen war: Selbsterfindung, Normüberschreitung, Abweichung. Dieser Dreiklang ist ebenso auf Georgette Dee anzuwenden. Sie nimmt die Charakterisierung lachend an.

Georgette Dee:
„Zu der Sekte könnte ich gehören. Andererseits, ich fühle mich mit  meinen Lebens-Mottos etwas aus der Zeit gefallen. Das Wilde, das Jugend und Blüte begleitet, ist nicht mehr en vogue. Dabei sind mit 20 die Hormone doch immer auf Sturm gestellt. Aber heute ist man da schon so erwachsen, politisch korrekt und dadurch nicht selten langweilig.“

Von dieser Erfahrung erzählt sie am Beispiel der Studierenden der Münchner Otto Falckenberg-Schule, wo sie seit langem den dritten Schauspiel-Jahrgang in „Liedern und Geschichten“ unterrichtet: „Ich bringe sie ganz dicht zu sich selber. Wenn sie es zulassen, führe ich sie auf kleine Gipfel, aber mit ihnen selbst, nicht auf Ansage. Um was geht es schließlich immer! Um einen Menschen auf der Bühne, der uns eine Geschichte erzählt. Der kann grün oder blau kariert oder fünfgeschlechtlich sein, das ist unwichtig.“

„Die ersten zehn Jahre habe ich mir die Mühe gemacht und alles aufgeschrieben, was ich zwischen meinen Songs sagen wollte, das hat mich total gestresst. Heute habe ich auf einem Zettel vielleicht zehn Wort stehen – die brauche ich dann aber auch.“
Georgette Dee
Diese Souveränität ist ihre Lebens-Kunst. Gab es für Identifikationsfiguren – und wann sind sie in Georgette Dees Wahrnehmung aufgetaucht? 
Georgette Dee:
„Edith Piaf. Als ich sie mit sieben Jahren im Radio hörte, war das mein erster Flash. Ich habe nicht gedacht: ‚Wer ist das?’, sondern: ‚Das will ich auch’. Dann ist man irgendwann über Zarah Leander gestolpert, obwohl sie nicht Idol-Charakter für mich besaß, es war eher, wie bei Alexandra, die Stimme, das Timbre. Sehr inspirierend waren für mich Callas und Janis Joplin. So unterschiedlich sie scheinen. Das für mich Gemeinsame ist das Unausweichliche: Sie konnten nicht anders. Auch Hans Albers gehört für mich dazu, der alles veredelt hat, noch den blödesten Text. Kurzum: Ich war immer Bühne. Ich muss da raus. Die Bühne hat eine andere Zeit. Film und Fernsehen dagegen haben mich nie interessiert: für mich selbst. Wenn für mich die Bühne nicht mehr sein kann, würde es mit mir nicht mehr lange gehen.“

Der Schritt auf die Bühne als der magische Moment der Verwandlung und  Vergrößerung und Übertritt in eine andere Wesenheit. Das vollendet zu tun, ist die Kunst – das Artifizielle und das Authentische zu verbinden. Was heißt für Georgette Dee, authentisch zu sein?

Als Lady Wilde sagt sie in "Die Märchen des Oscar Wilde erzählt im Zuchthaus zu Reading" : „Das Leben ist Qual und Hoffnung, Illusion und Verzweiflung zugleich, doch am Ende bleibt nur die Verzweiflung“. Das wäre nicht ihre Schlussfolgerung und Bilanz. „Das ist etwas kassandrisch, auch berührend“, sei ohnehin eine Traumsequenz im Stück und Zitat aus einem Brief der Mutter. Vielleicht ließe sich das noch ändern. Sie wolle darüber reden mit ihrem Regisseur André Kaczmarczyk, den zu begeistert lobt. „Meine Konklusion wäre eher: Illusion. Das ist etwas größer gedacht, das kann jeder für sich zurecht biegen.“

In ihren an die 40 eigenen Bühnenprogrammen seit mehr als 40 Jahren, auf Tourneen,  in Konzerten und Auftritten von Berlin bis Köln, von Paris bis Wien sind die Lieder das eine, das andere, was zwischen den Liedern liegt, wenn die Diva in einer einzigen großen Wellenbewegung plaudert, Übergänge durch Umwege schafft, eine Geschichte nach der anderen wie Girlanden aufzieht und mit feinen Nadelstichen durch das Allgemeine und Besondere stichelt. Ihr Geschichten-Erzählen auf der Bühne sei mit der Zeit „gewachsen“.

Georgette Dee:
„Wie man ist und wie man sein möchte, das sind unterschiedliche Räume der Freiheit. Freiheit zu sein, wie man ist – für mich ist das viel wichtiger. Dass man sich nicht verbiegt. Hingegen so zu leben, wie es der eigene Traum sich vorstellt, da frage ich mich, wenn ich mir einige Freunde anschaue oder einige meiner Studenten, die Geld oder Karriere machen wollen, ob dieser Traum und seine Verwirklichung sich gelohnt haben? Ich kann nur warnen: Die Preisliste dafür wird nachgereicht, die kriegst Du nicht vorweg. Die Freiheit zu sein, wie man ist, ist anders, weil es keine abgeschlossene Geschichte betrifft, weil die eigenen Ansprüche, Bedingungen und Grenzen sich ändern. Open end. So wie jetzt für mich: alt, krank, begrenzt in der Zeit. Würde ich mich damit nicht auseinandersetzen, verlöre ich etwas von meiner Souveränität.“
Als junger Mensch von Anfang 20 („frühreif, hochbegabt und ungefördert“) auf eigene Weise Ich zu sagen, sein Ich für sich herzustellen und umzusetzen, das ist ein gigantisches Programm. Oder?
Georgette Dee:
„Ach, nein, ich habe nicht groß darüber nachgedacht – sowieso war ich damals schon größenwahnsinnig. War David, Scheiß auf Goliath. Wer hat denn hier die Steinschleuder! War furchtlos gegenüber Strukturen und Mustern. Und familiär gab es keine bürgerliche Scheu, wohl ein christliches Korsett, aber wenn man das dann abwirft ... In diesem Kampf kommt einem das Schwul-Sein sehr entgegen: Man ist, was man ist. Verflucht oder nicht. Also Flucht nach vorn. Abgekämpft habe ich mich eher mit der Travestie-Einordnung, in diese Schublade gehörte ich nie.“
"Eine singende Frau wird anders wahrgenommen, als ein singender Mann."
Georgette Dee
Georgette Dee hat das Genre Diseuse neu kreiert. Und (sich) eine ikonische Figur geschaffen: Zigarette in der einen, Drink in der anderen Hand, Mikrofon, das schwarze Kleid, die helle Lohe des Haars.
Georgette Dee::
„Ich habe, instinktiv mehr als intellektuell, die Klischees, sozialen Codes und Regeln für mich genutzt. Eine singende Frau wird anders wahrgenommen, als ein singender Mann. Dafür brauchte ich keine Federboa, keinen Strass, keine langen Wimpern etc. Das war nicht meins. Stattdessen: ein Mensch im Kleid. Schlichte Fichte. Aber genau das haben manche als bedrohlich und noch provokanter empfunden. Das nervt mich auch an Filmen wie ‚La Cage aux Folles’, das niedliche, lustige, clowneske. Aber nie wird erzählt, dass es für diese Menschen um Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein geht. Es beleidigt die, die zwischen Schwarz und Weiß leben.“

Gelohnt werde ihr all das mit „Ehrerbietung“, gerade in der Theaterwelt und in der Darstellenden Kunst. Auch darüber hinaus. Verbeugung vor Miss Liberty.  

Georgette Dee:
„Was ich im Kleid singe, hätte ich in Anzug und Hose nicht singen können. Im Kleid ist es gefahrloser. Und entwaffnender. Auch wenn ich durch offene Türen gelaufen bin; es gab auch andere im Saal, die für meine Erscheinung kein Muster, keine erlernte Technik hatten, um damit umzugehen. Und es gab die Schüchternen, die durch mich Mut bekamen.“ 
Nach schwerer Krankheit gilt für sie heute: „Ich leb’ auf Pump“. Die Zigarette hält sie seit zehn Jahren nicht mehr in der Hand, das Glas in der anderen ist geblieben – auf der Bühne. Es fehlt ihr nicht.  
Georgette Dee:
„Ach, letzten Endes findet alles im Kopf statt. Das ist ein banales Geheimnis. An- und abgestellt wird zunächst dort oben drin. Und überhaupt, bislang habe ich meine Kämpfe immer gewonnen.“
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Georgette Dee – Porträt der Diseuse

bis 20.04.2025

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