Film

Filmstart der Woche: „Freud – Jenseits des Glaubens“

bis 15.01.2025
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Der Film – wie auch das ihm zu Grunde liegende Theaterstück – arbeitet mit einer Spekulation. Der alte Sigmund Freud erwartet einen Besucher zum Disput. Ob es sich bei dem nachgewiesenen Professor aus Oxford aber um den Schriftsteller C.S. Lewis gehandelt hat, ist ungewiss. Es entwickelt sich das Kammerspiel zweier Geistesgrößen.

Langsam gleitet die Kamera durch das Zimmer, das der Welt vertraut ist: der schmale, körperbetont geformte Ledersessel hinter dem Schreibtisch, die Couch mit der orientalisch bunten Überwurf-Decke, die Vielzahl der Antiken, die Canova-Skulptur von Amor und Psyche. Die Adresse ist aber nicht mehr Berggasse 19, Wien. Deren Bewohner, Prof. Dr. Sigmund Freud, konnte sich ins englische Exil flüchten, gemeinsam mit seiner Frau und der ihm assistierenden und, mehr als ihr gut tut, anhänglichen Tochter Anna. Die Zeit: 1939, zwei Tage nach Hitlers Einmarsch in Polen und wenige Wochen vor Freuds Tod am 23. September. Wir hören aus dem Radio die bellende Stimme seines Antipoden, des fürchterlichen Menschen in Berlin, gebürtig aus Braunau am Inn. London bereitet sich auf den Krieg vor, den Premier Chamberlain in einer Ansprache an die Nation erklärt. Sein Schatten ragt mächtig hinein in die Gelehrtenstube.

Freud hat sich wieder eingerichtet in seiner mit Götterbildnissen und -statuetten gefüllten bürgerlichen Geistes-Höhle. Der viel jüngere Clive Staples Lewis, Autor von "Flucht aus Puritanien", darin er sich auf eine phantastische Reise" um Glauben begibt, und des populären Schöpfungs-Zyklus der "Chroniken von Narnia", erhält Audienz. Als Kind traumatisiert durch den Tod der Mutter und seine Jahre im Internat, sucht der gebürtige Ire den Kontakt zum sterbenskranken Begründer der Psychoanalyse, der im englischen Garten seine Azaleen pflegt und Erinnerungen nachhängt, während er nur noch dank Morphium seine Krebserkrankung bewältigt: befallen sind Mund, Gaumen, Zunge, so dass der Sprachmächtige, dem die Sprache als Instrument der Erkenntnis dient, beinahe sprachlos geworden ist.

Lewis fordert ihn heraus als geistiger Widersacher, der an Gott glaubt und ganz und gar nicht Freuds Theorie teilt, der in dem höheren Wesen ein menschengemachtes Konstrukt – Märchen, Lüge, Wunsch nach einer heilen Kinderstube – sieht. Dagegen formuliert er die Aufforderung an das Ich: Werde erwachsen! Mach das Licht an, um das Dunkel zu erhellen, jedoch nicht mit falschem Abglanz.

Eine Gestalt wie aus Shakespeares Dramen, unterworfen Trug und Täuschung

Aber wie der Vernunft das Wort reden in Zeiten größter Unvernunft und wachsendem Irrationalismus im Angesicht der Monster – des Bösen, des Krieges, des Begehrens, des Todes, wo doch schon auf dem seelischen Kampfgebiet eines jeden Individuums finstere Kräfte am Werk sind? Freud selbst ist nicht gefeit davor, wenn er sich seine komplizierte Beziehung zu Tochter Anna (Liv Lisa Fries) eingesteht, die sich im Dienst für ihn aufgibt und darüber ihre Liebesbeziehung zu Dorothy Burlingham zu verleugnen und zu versäumen droht.

"Wir alle versuchen tapfer, unsere Vergangenheit und Kindheit hinter uns zu lassen, aber sie lassen uns nicht los." So Freud zu seinem Gast, den Matthew Goode mit exquisit britischer Oberklasse-Attitüde ausstattet. Anthony Hopkins, Großmeister schauspielerischer Porträtkunst, wiederum verwandelt sich der Figur Freud an und bleibt zugleich als er selbst erkennbar mit den typischen, etwas abgerissenen sprachlichen Hopkins-Manierismen, mit denen er souverän Dinge hinweglacht, und seinen eigenen Kosmos zu bewohnen scheint. 

Es ist ein Dialogfilm, gediegen altmodisch, nahe an den Personen erzählt und beim Ursprung zur Bühne: das Pingpong der Argumente, Kontroversen, wechselseitigen Stimulanzien, der Verdeckungen, Enthüllungen und Verschlüsselungen. ‚Besprochen’ werden Sehnsucht und Verlangen, Zwänge, Bindungs-, Angst- und Kontroll-Mechanismen; gegeneinander positionieren sich Wissenschaft und Glaube, Mythen und historische Wahrheit, Begehren und Hemmung.   

Beide Männer werden heimgesucht von Flashbacks, die das Schöne wie das Schreckliche umfassen und manchmal das Eine im Anderen sind. Darunter Lewis’ Kriegs- und Todeserfahrungen von 1914/18, und die wiederkehrende Begegnung mit dem unheimlich Lockenden des dunklen (Märchen-)Waldes. Beide sind Träumer von Träumen, die hier zum Bild werden: symbolisch aufgeladen und dabei so eindeutig, dass sie der Deutung nicht mehr bedürfen.Freud räsoniert wie eine Gestalt Shakespeares über Trug und Täuschung, denen er selbst unterliegt, gerät in biblisch-mosaischen Zorn, fällt in Bitternis und zeigt sich als Mensch in seinem Widerspruch.

Die filmische Freud-Sitzung entlässt den Zuschauer und die drei Hauptfiguren auf dezente Weise hoffend und wie befreit, so dass die finale Walzermelodie nicht falsch klingt.

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