Kunst

„Es gibt kein Wort… Annäherungen an ein Gefühl“

14.04.2024 - 25.08.2024
Die Ausstellung stellt beispielhaft fünf internationale zeitgenössische Positionen vor, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Heimat auseinandersetzen.

Die Ausstellung nähert sich den oft widerstreitenden Gefühlen von Zugehörigkeit und Abgrenzung, der Sehnsucht nach der alten und dem Zweifel an einer neuen Heimat auf vielschichtige Weise an. Als Auftakt zum Morsbroicher Themencluster Das Hiergelände gibt sie Anlass über Verwurzelung, Hier-Sein und Fremd-Sein zu diskutieren, über Welten und Grenzen und die mögliche Relevanz eines Museums.

Mit Arbeiten von Zoya Cherkassky-Nnadi (*1976 Kiew, lebt in Tel Aviv), Ira Eduardovna (*1980 Usbekistan, lebt in New York und Tel Aviv), Ahmet Doğu İpek (*1983 Adıyaman, Türkei, lebt in Istanbul), Jody Korbach (*1991 Bielefeld, lebt in Düsseldorf) und einem Projekt im öffentlichen Raum von Yevgenia Belorusets (*1980 Kiew, lebt in Kiew und Berlin).

Wo wird so etwas wie „Heimat“ greifbar? Auf der Suche nach Orten, wo ein Wir-Gefühl entsteht, ist die in Dortmund aufgewachsene Künstlerin Jody Korbach an die Fußball-Anhänger des BVB geraten. Sie hat kurzum an der Kunstakademie Düsseldorf einen eigenen Fanclub gegründet und das dortige Eiskeller-Fußballteam zu ihrer Heimat erklärt. Auf den Fanschals ist zu lesen: „Home is where your heart is“. Ein weiteres ungewöhnliches Kunstprojekt, ihr 2018 in der Tradition der Schützenvereine gegründeter Schützenkorps Europa, macht es sich zur Aufgabe „europäische Werte an den Stammtisch zu bringen und von dort aus zu verteidigen“. Mit teils beißendem Humor hält uns Korbach den Spiegel des Konservatismus vor Augen (Angie (Ein Leben lang), 2021) und nimmt die Wohlstandsgesellschaft mit ihrem stark ausgeprägten Bedürfnis nach Sicherheit aufs Korn (Mittelstandsmantra, 2022).

Ahmet Doğu İpek lässt uns einen Schritt zurücktreten und befragt den Umgang mit unserem (Heimat-)Planeten und unser Verhältnis zur Natur. Er konfrontiert Natur und Kultur, wenn er uniforme Architekturen in unbegrenztem Wachstum die Landschaft bis auf letzte einsame Felsen überwuchern lässt, wenn die Wurzel eines Baums wie in einer Metamorphose zum geschnitzten Möbel wird (Table II, 2017). Ob er durch seine künstlichen Eingriffe Natur unwiederbringlich verändert, wie mit der Serie Repair eine heilende Transformation vorschlägt oder uns mögliche Naturkatastrophen wie die Folgen eines Vulkanausbruchs auf der fiktiven Albino-Island (2021-22) vor Augen führt: Doğu İpeks Zeichnungen und Installationen sind schön und verstörend zugleich. Es stellt sich die dringliche Frage, wo wir uns in der heutigen Welt verorten und auf welcher Erde wir in Zukunft leben möchten.

Den Spagat zwischen einer zweifelhaften Vergangenheit und einer unsicheren Zukunft inszeniert Ira Eduardovna in kammerspielartigen Videos mit biografischem Bezug. Aus verschiedenen Perspektiven handeln die Mehrkanal-Arbeiten von Abschied und Aufbruch. Sie sind persönliche Erzählungen von der Ausreise ihrer Familie aus der sich auflösenden UDSSR (The Iron Road, 2021) und sprechen zugleich kollektive Erfahrungen an, die unterschiedlichste Menschen machen. Die Akteur*innen ihrer Videos führen uns mitten in die persönlichen Krisen der Emigranten, die Befragung der eigenen Identität, die Sehnsucht, noch einmal an den Ort der Vergangenheit zurückzukehren. In eindringlichen Szenen legt Eduardovna die Motive und Hoffnungen, Ängste und Sorgen der Aussiedler*innen frei. In der aktiven Wieder-Holung dieser Geschichten deutet sie einen Weg der Überwindung von Traumata an.

Auch in den erzählerischen Werken von Zoya Cherkassky fallen persönliche Biografie und Bilder des kollektiven Gedächtnisses zusammen. Im Alter von 14 Jahren verließ sie Kiew und emigrierte mit ihrer Familie nach Israel. In einer umfangreichen Werkserie (My Soviet Childhood, seit 2014) arbeitet sie ihre Kindheit auf, die ihr mit Putins Angriffskrieg endgültig genommen worden sei. In der neuen Heimat setzt sie sich mit der ambivalenten Welt der Einwanderer und deren Identitätskonflikten auseinander. Vor ihrem Atelier porträtierte sie die afrikanische Community von Tel Aviv und lernte dort ihren Mann kennen, einen Arbeitsmigranten aus Nigeria. Und so mischen sich Nationalitäten und Herkünfte, Juden, Ukrainer, Araber und afrikanische Igbo in ihrer Familie. Szenen aus dem gemeinsamen Alltagsleben werden in Cherkasskys Bildern jedoch immer wieder gebrochen durch die Erfahrung, dass alles im nächsten Moment zerfallen und Heimat (abermals) existentiell bedroht sein kann.

Yevgenia Belorusets arbeitet als Autorin und Fotokünstlerin an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und sozialem Aktivismus. Sie wurde durch ihr Tagebuch vom Anfang des Krieges (2022) bekannt, das sie auf der Biennale in Venedig 2022 präsentierte. Mit einer Intervention bringt sie im Billboard-Format Stimmen in den öffentlichen Raum von Leverkusen, die aus einer angesichts der aktuellen Situation des Landes arglos erscheinenden Ich-Perspektive von Kiew erzählen. Auf ein Foto gegen den grauen Himmel geschrieben, wollen diese unschuldigen Zeilen über blühende Kastanien und eine Stadt voller Schätzen nicht mit dem Bild zusammengehen – und noch weniger mit den entsetzlichen, hier ausgeblendeten Kriegsbildern. Die Realität zersplittert, angesichts des drohenden Verlusts der Heimat fühlen sich schwärmerische Erinnerungen falsch an, ein blauäugiger Blick in eine mögliche Zukunft fällt schwer.

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„Es gibt kein Wort… Annäherungen an ein Gefühl“

14.04.2024 - 25.08.2024

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