Literatur

„Droste Digital“ im Center for Literature auf der Burg Hülshoff

16.09.2022 - 30.09.2023
Handschriften, Räume, Installationen: Die Ausstellung "Droste Digital" löst die große deutsche Dichterin (1797-1848) aus dem Biedermeier-Ambiente. Zeitgenössische Künstler*innen setzen ihr Leben und Werk in Bezug zum Hier und Jetzt.

Ein Schiller-Zitat, das Annette von Droste-Hülshoff in ein Fenster gekratzt hat, war bislang der einzige sichtbare Nachweis ihrer literarischen Arbeit in der Burg Hülshoff. Es ist kaum entzifferbar, hinterlässt im Betrachter aber einen nachhaltigen Eindruck. Eine kleine, feine Spur aus dem Leben der bekannten Dichterin, die mehr und individueller erzählt als die meisten Exponate in der Dauerausstellung der Burg: gepolsterte Stühle, große Schreibtische, die Ahnengalerie, edles Porzellan, Annettes Kinderbett, unzählige Bücher hinter Glasscheiben und der knarzende Dielenboden. Vermittelt wird ein Gefühl von Biedermeier und Klassizismus.

„Ich kann es nicht aushalten, wenn ich auf einem Papier eine weiße Stelle sehe.“
Annette von Droste-Hülshoff

Die Handschriften der Dichterin sind so klein. Winzige Wörter nebeneinander, untereinander, dazwischengequetscht, durchgestrichen, neu geschrieben. Jede noch so kleine Stelle des Papiers ist ausgefüllt. Für Annette von Droste-Hülshoff waren Worte kostbar wie Papier. „Ich kann es nicht aushalten, wenn ich auf einem Papier eine weiße Stelle sehe“, soll die Dichterin (1797 – 1848) gesagt haben. Ihre Handschriften aus dem Meersburger Nachlass – 1500 Seiten, darunter Reinschriften, aber auch Entwürfe von Gedichten, Notizen, Briefe, Quittungen – wurden im Westfälischen Literaturarchiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe digitalisiert. Er gilt als einer der wichtigsten literarischen Nachlässe Westfalens. Jetzt setzen Künstlerinnen einige dieser Droste-Handschriften performativ und intermedial in Szene.

Schauplatz ist die obere Etage des Haupthauses der Burg, die bislang nicht zugänglich war. Bis 2015 hatten die Drostes hier ihre Privatgemächer – ein Tabu für Burg-Besucher*innen. Nun geht es in geführten Gruppen von vier bis sechs Personen also über die breite, geschwungene Holztreppe ins Obergeschoss, in die neuen Museumsräume. Sie wurden nach dem Tod von Jutta Freifrau von Droste zu Hülshoff, der letzten Privateigentümerin der Burg in Havixbeck, entkernt. Und jetzt neu künstlerisch gestaltet – immer mit Bezug zur Droste, zu ihrem Leben und Arbeiten. In den disparaten Räumen werde sichtbar, wie vielseitig Drostes Schreiben ist, erklärt Kurator Oliver Pawlak.

„Annette war eine Draufgängerin."
Nora Gomringer

Da ist zum Beispiel Annettes Kinder- und Jugendzimmer. Nicht besonders groß, Blumentapete an der Wand, aus dem Fenster der Blick in den weitläufigen Park, der die Burg umgibt. Nora Gomringer hat den Raum bestückt mit biografischen Anspielungen und typischen Accessoires einer vielleicht 15-Jährigen. Da leuchtet eine Lampe in Form des Initials A. Auf dem Boden sitzt ein großer Kuschelbiber. Kerzen dekorieren ein Tischchen neben der Chaiselongue. Und Goethe – weißer Anzug vor pinkem Hintergrund – prangt wie ein Popstar an der Wand. Helden ihrer und unserer Zeit.

Das Werk, auf das sich die Autorin und Künstlerin bezieht: das Dramenfragment „Bertha. Oder die Alpen“. Ein Jugendfrühwerk, Droste hat es mit 16 geschrieben. Gomringer hat eine Alpenkarte auf einen Teppich drucken lassen, der nun wie eine Berglandschaft über dem Sofa und auf dem Boden liegt. Skistöcke stehen im Milchkübel am Fenster, mit einem Bügel werden sie zum einfallsreichen Kleiderständer einer Jugendlichen. „Annette war eine Draufgängerin. Ihre Bertha eine emanzipierte Figur, die mit dem damaligen Rollenverständnis bricht“, erzählt Gomringer. Die Künstlerin hat für ihre Annette eine coole College-Jacke besticken lassen. Das „emanzipatorische Erwachen“ der jugendlichen Droste, für die die Alpen ein Sehnsuchtsort gewesen seien, ist für sie der spannende Fokus.

Dem Jugendzimmer schräg gegenüber steht ein riesiger Schrank an der Wand. Eine der Türen führt weiter als vermutet, sie öffnet sich zu einem neuen Raum. Es ist das ehemalige Studierzimmer von Annettes Vater. Die Autorin Dorothee Elmiger hat hier ein modernes Arbeitszimmer eingerichtet, mit Motiven aus Drostes „Judenbuche“. Bereit liegen Klebezettel, Nüsse und eine Zahnbürste, der Computer auf dem Eiermann-Schreibtisch. Wie arbeitet eine Schriftstellerin heute und wie hat Droste vor 200 Jahren gearbeitet? Das steht als Frage hinter Elmigers Gestaltung.

Im Badezimmer, einen Flur weiter, ist die Atmosphäre surrealer. Das Künstler*innen-Kollektiv Hyphen-Labs – Ece Tankal und Carmen Aquilar y Wedge – hat Drostes Gedichtzyklus „Die Elemente“ als Ausgangspunkt genommen für eine Auseinandersetzung mit dem Thema Mensch und Natur. Komplett schwarz besprüht haben sie den Raum, die Fliesen, die Wanne, das Waschbecken, Boden und Decke. Beklemmend ist das. Mehrere Spiegel verzerren das Bild an diesem Nicht-Ort, Licht und Text werden hin- und herprojiziert. Erde, Wasser, Feuer und Luft sind so komprimiert auf engstem Raum.

Die Treppe hoch geht’s zum Dachboden des Haupthauses. Hier zieht der Wind durch die Ritzen. Die Balken knarren. Emese Bodolay und Almut Pape vom Künstler*innen-Kollektiv Anna Kpok haben einen Teppich ausgelegt, einen riesigen – 36 Meter lang, zwei Meter breit. Auf ihn haben sie Drostes Handschriften drucken lassen, und zwar die aus dem Gedichtzyklus „Klänge aus dem Orient“. Der Zyklus beinhaltet auch erotische Elemente. Aber so etwas hatte eine Frau damals nicht zu publizieren. Also verstecken sie die Worte auf dem Dachboden. Von der Decke hängt ein Mobile der Handschriften, dafür können die Besucher*innen Buchstaben ausschneiden und so die Wortwelt wachsen lassen, groß und gut erkennbar.

Zurück nach unten zu den mikroskopisch kleinen Handschriften. Wie die eigentlich digitalisiert werden, zeigt eine Dokumentation. Und an einer Audiostation wird aus Drostes Briefen gelesen. Die Raum-Inszenierungen, Augmented Reality, Audio- und Videostationen – all diese verschiedenen Angebote der Rematerialisierung machen Droste und ihr Schreiben sichtbar(er) und erfahrbar. Es ist ein weiterer großer Schritt des Center for Literatur unter der Künstlerischen Leitung von Jörg Albrecht, die Burg zu öffnen. Kunst ist dabei immer der Impuls.

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„Droste Digital“ im Center for Literature auf der Burg Hülshoff

16.09.2022 - 30.09.2023

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