Daraus lässt sich auf der Bühne ein Drama machen – oder ein Lustspiel. So oder so, es geht ums Ganze. In Eugène Labiches Posse ist „Das Sparschwein“ auf 600 Francs gemästet worden. Nun heißt es: Ran an den Speck. Auf die Sau mit dem angefutterten Kapital wird angelegt und geschossen. Mit dem Geld wollen die Provinzler in Paris einen draufmachen, was genregerecht in die Katastrophe führt.
Ein Kellner führt sie an der Nase herum, Frauen wickeln sie um den Finger, die Polizei kassiert sie ein, und sie selbst stehen sich die ganze Zeit auf ihrem Abweg im Wege. Aber im Düsseldorfer Schauspielhaus hat es mit Labiche, dem von der Hochkultur längst geadelten französischen Lustspiel-Autor des 19. Jahrhunderts, nicht sein Bewenden. „Das Sparschwein“ wird mit Elfriede Jelineks Wirtschaftskomödie und Farce „Die Kontrakte des Kaufmanns“ von 2009, ihrem garstigen Sermon zu mäandernden Finanzflüssen, gekreuzt: kombiniert und konterkariert.
Wechselweise steigern sich die Affekte und Effekte, indem rasant neue Schnittmengen und Schnittflächen zusammenstoßen. „Die Kontrakte des Kaufmanns“ könnten auch die Kontraste des Kaufmanns heißen, wenn sich zunächst die überkandidelte Stimmung vortäuscht, bevor sie kippt. Rüschen und Frack, flirrende Schmetterlingsflügel, blinkender Eiffelturm-Kopfputz und eine knallende Peitsche, damit ein stupides Mannsbild pariert, geben hier Attribute und Requisiten vor, die trügerisch sind und volatil wie Bilanzen, Aktienkurse und Renditen. Der Abend fährt einem hinterrücks in die Schlager-Parade, die von Serge Gainsbourg („Je t’aime“) über Mireille Mathieu und Vicky Leandros bis zu ABBA reicht, ohne aufzutrumpfen, sondern eher ironisch kommentierend.
In einer Szene schaltet die Inszenierung in den Stummfilmmodus, wir hören nichts mehr und sehen allein das Spiel der Gesichtsmuskeln, als wäre den Darstellenden der Strom abgestellt, so dass die Grimasse, die während des gesamten zwei Stunden über die Gesichter herrscht, vollends in die beredte und flexible Erstarrung des Expressiven gerät.
Nicht nur das Geld wird, wie von Jelineks Text ausbuchstabiert, flüssig gemacht, auf dass es sprudelt, schäumt, quirlt, zerstiebt, sondern die Inszenierung auch verflüssigt Jelineks zwar hochmusikalisch rhythmische, aber auch monolithische Sprache, indem sie sie in die Labiche-Handlung hinein montiert, jongliert, tänzelt, juxt, schwingt, maskiert, pointiert mit gerissener Fixigkeit, Finesse und Unverfrorenheit. Jelineks Wort-Kaskaden haben sich verSINNlicht. Scharfsinnig wird die Erotik des Geldes und die Kleinbürgerfantasie nach sexueller Befriedigung am Fantasieort Paris addiert und mit dem Lustfaktor multipliziert.
Die Konstruktion aus Labiche und Jelinek erinnert von fern an Frank Castorf, der einmal Heiner Müllers „Schlacht“ mit dem Schwank „Pension Schöller“ verbunden hatte: So kann die Erregungskurve vom Cancan sich zur rasenden Heftigkeit steigern und hinein in das sich aus tollender Vergnüglichkeit herausreißende Finale mit dem (selbst)mörderischen Totentanz-Massaker einer in den Ruin getriebenen Familie. So besteht diese Aufführung den Härtetest. „Nichts, nichts, nichts“ ist – vielfach wiederholt – das langsam vergehende Schlusswort: Das Nichts ist der zu gebärende Geldgott.
Dass die scheinbare Mesalliance zwischen Labiche und der die Sprachmaschine virtuos bedienenden Literaturnobelpreisträgerin Jelinek zur Entente Cordiale werden kann, dafür sorgt als Regisseur André Kaczmarczyk, der zugleich Studioleiter ist der acht Studierenden der Leipziger Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn-Bartholdy, die mit dieser Inszenierung einen Teil ihrer Ausbildung am Düsseldorfer Schauspielhaus abschließen. Es sind Michael Fünfschilling, Orlando Lenzen, Elias Nagel, Jule Schuck, Charlotte Schülke, Sarah Steinbach, Roman Wieland und Luise Zieger, die hier den Vogel, pardon, das Sparschein abschießen. Sie nehmen es spielend auf mit dem Ensemble eines jeden Stadt- und Staatstheaters.
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