Eine alte Seele mit futuristischen Ambitionen und einer so aktuellen Stimme, dass sie Raum und Zeit überwinden kann – das ist Cécile McLorin Salvant. Mit Lobeshymnen, Spitzenplätzen bei Wettbewerben und auf Kritikerlisten, Grammys und geldschweren Kunstpreisen wie dem Stipendium der MacArthur Stiftung gesegnet, galt die 34-jährige Sängerin dem Guardian schon vor Jahren als „Genie des Jazz“ und dem Spiegel als „Erbin von Billie Holiday“. Für die New York Times war sie schlicht „die beste Jazzsängerin der letzten Dekade“. Mutig und unberechenbar ist sie, ihr Gesang nahezu schmerzhaft schön und dabei gesegnet mit einem so umwerfenden wie umfassenden Verständnis dafür, wie man die Traditionen des Blues, Jazz und Folk mit der Attitude des Hip Hop und der Leidenschaft und Dramatik ihrer Heldinnen Björk, Kate Bush oder Bettie Smith vereint. Ein echtes Ausnahmetalent.
Die Tochter einer französischen Grundschullehrerin und eines haitianischen Arztes wuchs in Miami auf und hörte dort, wie sie sagt, „jede Art von Musik – haitianischen Folk, Hip Hop, Soul, Klassik, Jazz, Gospel oder kubanische Musik“. Schon mit fünf bekam sie Klavierunterricht. Heute bereut sie, dass sie damals nicht üben mochte, doch vielleicht war es genau das, was sie mit acht direkt in einen Chor und bald darauf zum Gesangsunterricht führte. Mit achtzehn zog es sie in ihr Mutterland, wo sie in Aix-en-Provence neben Jura immerhin auch klassischen Gesang studierte. Schon mit Anfang zwanzig gewann Cécile McLorin Salvant den renommierten Thelonious Monk Gesangswettbewerb, wenige Jahre später bekam sie für ihr zweites Album „WomanChild“ einen Grammy – auch aktuell ist sie für diesen weltweit wichtigsten Musikpreis nominiert.
Von Abbey Lincoln inspiriert, begann sie bald eigene Lieder zu schreiben, die sich immer wieder um die Macht der Liebe drehen, denn: „In Zeiten der Einsamkeit und Angst möchte man instinktiv über Liebe sprechen.“ Es ist kein Widerspruch, dass sie sorgsam mit dem Erbe von über hundert Jahren Jazzgeschichte umgeht und trotzdem beliebt für ihre musikalischen Experimente ist – es sind ihre Authentizität und der Mut zu Neuem, Unbekanntem, die Cécile McLorin Salvant so faszinierend machen. Ihr Anspruch und ihre Anerkennung gehen dabei weit über die ohnehin schon weit offenen Genregrenzen des Jazz hinaus. Die verstorbene Operndiva Jessye Norman nannte sie „eine einzigartige Stimme, die von einer Intelligenz und vollwertiger Musikalität getragen wird, die jede Note, die sie singt, zum Leuchten bringt“. Der Pressetext zu ihrem aktuellen Album „Mélusine“ stammt von keiner geringeren als der Bürgerrechtlerin Dr. Angela Davis, die etwa schreibt: „Salvants jüngstes Album ist eine mutige Erklärung, dem Ruf ihrer ausschweifenden Fantasie zu folgen, insbesondere wenn diese sie dazu drängt, Grenzen zu überschreiten, die auf Sprache, Genre, kultureller Tradition und alten Zeiten basieren.“
Cécile McLorin Salvant selbst sagt, sie sei „daran interessiert, Dinge aus unterschiedlichen Quellen, Zeiträumen und Techniken zusammenzubringen.“ Sie liebe es, allein mit ihrer Stimme in verschiedene Klänge und Texturen einzutauchen. Obendrein ist sie bildende Künstlerin, die ihre farbenfrohen Werke auf ähnliche Weise wie ihre Musik angeht. „Ich möchte, dass sich meine Musik und meine Kunst so anfühlen, als würde man jemandes Tagebuch öffnen – es gibt da eine alte Eintrittskarte, hier ein Zitat, dort eine Idee, dazu Frustration und ein Geheimnis.“
Vor allem im Konzert zieht Cécile McLorin Salvant das Publikum in ihren Bann – mal überschwänglich, im nächsten Moment sinnlich sanft. Sie brilliert neben Stars wie Wynton Marsalis oder Michael Bublé, auf Festivalbühnen mit ihrer sensiblen Power-Band oder auch barfuß, unverstärkt und a cappella in der Elbphilharmonie – immer mit dieser entwaffnend ehrlichen Mischung aus Leiden und Glücksgefühlen, die Cécile McLorin Salvant ausmacht. Niemand, der sie live erlebt, bleibt unberührt. Mit ihrer immer hochkarätigen Band, oft mit dem sensationellen Pianisten Sullivan Fortner oder Perkussionist Weedie Braimah an ihrer Seite, überzeugt sie weltweit ihre Zuhörerschaft. Erst neulich, als sie beim Edinburgh Festival auftrat, schrieb ein Kritiker: „Dies wird eine kurze Rezension. Tatsächlich bin ich versucht, das Wort „sensationell“ zu schreiben und es dabei zu belassen.“