Film

„Bird“ von Andrea Arnold

In der Tristesse von sozialem Rand, Müll, Arbeitslosigkeit, Gewalt, Kriminalität und zukunftsloser Gegenwart, wo ein Graffiti den „Hass auf Menschen“ bunt malt, stellt ein Flügelschlag fast so etwas wie ein Wunder dar.

Eine zutrauliche Möwe, die sich angstfrei der zwölfjährigen Bailey nähert, ein Schmetterling, der sich an eine Fensterscheibe klammert, eine Krähe, die sich neben ihr auf einem Häuserdach niederlässt, ihrem Weg folgt und zu ihrem Boten und Nachrichtenübermittler wird. Einmal ersetzt ein Helikopter die Vögel am Himmel.

Ein heruntergekommenes Haus im englischen Kent, das der Tourist eigentlich verbindet mit landschaftlicher Anmut hinter den Kreidefelsen von Dover. Aber hier sehen Seebadeorte betongrau aus und wie die Verlängerung des urbanen Nirgendwo, und der Blick auf die See ist verstellt von Windrädern. Es ist die Heimat der 1961 geborenen Filmemacherin und Oscar-Preisträgern Andrea Arnold.

Durch dieses Notstandsgebiet streift Bailey (Nykiya Adams) in ihrer traurig-wissenden, zu früh gealterten Unschuld. Es gibt nicht nur so etwas wie altkluge Kinder und Jugendliche, sondern auch jungkluge. In „Bird“ existieren nur grob zusammengenähte Patchwork- oder aber frei gewählte Ersatzfamilien  und Schicksalsgemeinschaften.

„Dein Traum ist mir egal“, sagt Bailey zu ihrem Vater, der von ihrer Mutter getrennt lebt, die wiederum mit weiteren Kindern und wechselnden Kerlen – der aktuelle, besonders widerwärtige heißt Skate – anderswo ihre Misere verwaltet. Dieser Vater taumelt, wenn er nicht gerade zugedröhnt ist, seiner neuen Hochzeit entgegen und hütet eine sogenannte Drogenkröte, deren Schleim angeblich ein Halluzinogen produziert, mit dem er seinem abgedrehten Plan zu Folge Geld machen will.

Befreiender Volgelflug

Bei ihrem Streunen durch den Tag trifft Bailey auf freiem Feld einen seltsamen, wie aus der Welt gefallenen jungen Mann, der sich ihr als „Bird“ (Frank Rogowski) vorstellt, der nach seinem Vater sucht, wobei Baileys ihm hilft, bis dessen Auffinden zur Enttäuschung wird. 

Das New British Cinema ist in Andrea Arnolds knapp zweistündigem, krass hartem, in seinen Winkeln jedoch auch zartem und sanftem Film mehr als eine Generation vorangekommen und hat sich dabei verwandelt. Wahrhaftig verwandelt, so wie es Bird ebenfalls tut. Denn als Reaktion auf die Aggression des ausrastenden, prügelnden Skate wachsen ihm Gefieder und Schwingen, und er vermag es, sich in die Lüfte zu erheben und zu fliegen und den Unhold einfach so wegzuschaffen.

„Ja, es könnte wirklich, wirklich, wirklich passieren“ singt am Ende Baileys Vater als Bräutigam. Bailey hat dieses Alltags-Wunder erlebt.  

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„Bird“ von Andrea Arnold

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