
Internationale Top-Galerien sparen sich auch in diesem Herbst die Reise an den Rhein. Schon seit einigen Jahren sucht man auf der Ausstellerliste der Art Cologne Namen wie David Zwirner oder Hauser & Wirth vergeblich. Doch die wichtigen deutschen Händler halten Köln die Treue. Insgesamt kommen 175 Teilnehmer*innen aus 24 Ländern zur 57. Ausgabe der Art Cologne in den Kölner Messehallen zusammen. Aussteller wie Michael Werner und Gisela Capitain, Karsten Greve, Daniel Buchholz oder Nagel Draxler garantieren wieder Qualität. Aufgelockert wird das Feld von einer ganzen Reihe spannender junger Kollegen, die auf dem „Neumarkt“ Zukunftsmusik anklingen lassen.

Unter den Neueinsteigern ist Super Super Markt aus Berlin – eine Mischung aus Galerie, Online-Plattform und Community, die vor allem jungen Künstler*innen einen Ort bietet. Die Jungen bestimmen nun auch das Programm für die Art Cologne. Darunter die 1994 in Dortmund geborene, heute in Köln lebende Cécile Lempert, die sich in ihrer Malerei vor allem für Menschen, Gesichter und Gefühle, Begegnungen und Beziehungen interessiert. Zum Beispiel bei der Interpretation der in der Kunstgeschichte immer wieder dargestellten Opferung Isaaks: Lempert rückt hier der Kehle des Jungen ganz nahe, nimmt die Hand des Vaters in den Fokus, wie sie sich über das Gesicht des Sohnes legt, um den Kopf in den Nacken zu drücken. Die Malerin folgt hier wohl einem Vorbild von Rembrandt, nur wählt sie den schrecklichsten Ausschnitt aus dessen Komposition und verdoppelt ihn noch dazu.

Ebenfalls neu auf dem „Neumarkt“ ist Silke Lindner mit ihrer 2022 gegründeten New Yorker Galerie. Sie macht ihre Koje frei für eine Soloschau mit Arbeiten von Ang Ziqi Zhang. Die 1994 geborene Kanadierin lebt eigentlich in Brooklyn, ist aber derzeit als Artist in Residence im »Wohnhaus Neue Folkwang« zu Gast und bereitet für Ende dieses Jahres eine Einzelausstellung im Neuen Essener Kunstverein vor. Auf der Art Cologne zeigt Ang Ziqi Zhangs bei Silke Lindner abstrakte, manchmal mit Zeichen und Symbolen versetzte Gemälde, in denen sanfte Töne auf harte Neonfarben treffen. Es wurden schon Vergleiche zu Stroboskoplichtern gezogen, die sich im Techno-Club über die Tanzfläche bewegen.
Immer wieder spürte Julius von Bismarck der Ästhetik von Naturgewalten nach – und begab sich dabei mitunter in gefährliche Situationen. Etwa wenn er Waldbrände filmte, um sie in seinen Videoinstallationen als meditatives Schauspiel erscheinen zu lassen. Alexander Levy aus Berlin zeigt nun vergleichsweise zurückhaltende Werke des Künstlers. Darunter seine 2024 entstandene Wandarbeit „Organic Story Board“, in der auf einer Holzfaserplatte präparierte Tiere, Pflanzen, Textilien und Reste einer Plastikflasche zusammenfinden. „Ich ziehe meine Inspiration aus der Wissenschaft und arbeite künstlerisch“, hat von Bismarck einmal erklärt. Mit künstlerischen Mitteln erforscht er Mensch, Natur und Technologie.

Die Kölner Galerie Martin Kudlek konzentriert sich diesmal ganz auf die Kunst mit Papier und eröffnet das Spektrum mit einem bisher wenig bekannten Pionier der Papierkunst: Oskar Holweck (1924-2007) hat seit den 50er Jahren die Möglichkeiten des Mediums ausgetestet und sich mit seinen Arbeiten, die mit Licht, Schatten und Struktur spielen, im Umfeld der ZERO-Bewegung wohlgefühlt. Drei weitere Künstler*innen werden am Stand von Martin Kudlek das Thema in die Gegenwart führen. Bis hin zu Simon Schubert, der »zeichnet«, indem er große Papierbögen knickt, faltet und ihnen so plastische Qualitäten verleiht.

Michael Haas aus Berlin erinnert bei der Art Cologne an ein wildes Kapitel der hiesigen Kunstgeschichte: Man schaut zurück in die frühen 80er Jahre, als Hans Peter Adamski und Peter Bömmels, Walter Dahn, Jiří Georg Dokoupil, Gerard Kever und Gerhard Naschberger im Gemeinschaftsatelier an der Mülheimer Freiheit 110 die figürliche Malerei aufleben ließen – mit viel Farbe, Eigensinn und Energie. Jeder auf seine Art. Die Leute hatten damals genug von Minimal Art und Konzeptkunst“, so Michael Haas. „Sie hatten einen regelrechten Hunger nach Bildern. Und diese Aufbruchsstimmung in der Malerei, die hat die Mülheimer Freiheit verkörpert.“
Als eher unscheinbarer Star wird in die Koje des Berliner Galeristen Thomas Derda das „Bild mit schwarzem Keil“ von Carl Buchheister einziehen (1890-1964). Der heute wenig bekannte Künstler war mit seinen abstrakten Arbeiten unter dem Einfluss von Wassily Kandinsky und Kurt Schwitters Ende der 1920er Jahre schnell in die erste Reihe der deutschen Avantgarde vorgerückt. Von den Nazis als „entartet“ gebrandmarkt, zog er sich in die innere Emigration zurück. Vielleicht ist sein Name deshalb heute kaum mehr geläufig.

Zwei jüngere Künstler*innen, die heute in Johannesburg leben, sind bei Nagel Draxler zu entdecken. Zandile Tshabalala (Jg. 1999) feiert oft lebensfrohe, selbstbewusste schwarze Frauen als Protagonistinnen ihrer klaren, großformatigen Gemälde. Sie posieren im gelben Pelz, mit Kopfhörern und Leo-Socken oder knallroten lachenden Lippen. Daneben ziehen Teresa Kutula Firminos (Jg. 1993) bissige Collagen ein in die Koje.

Max Goelitz aus München hat für seinen Auftritt im »Collaborations«-Sektor Positionen ausgewählt, die Kunst und Wissenschaft vereinen. Darunter Werke der deutsch-französischen Gruppe Troika, die oft auf wissenschaftlichen Recherchen und Naturbeobachtungen basieren. So die Installation „Anima Atman“: Aus einer öden Landschaft aus Siliziumsteinen wachsen Disteln, die sich wie in Zeitlupe bewegen. Pflanzen „wissen“ sich an ihre Umgebung anzupassen, und gerade Disteln überleben fast überall.
Auch in der Langen Foundation in Neuss gastiert Troika derzeit. Für die große Einzelausstellung dort haben die drei den Ausstellungsraum geflutet und führen vor, wie Wasser aufwärts tropfen kann – so sieht es zumindest aus. Daneben präsentiert Max Goelitz etwa den Peruaner Nicolás Lama (Jg. 1980) mit einem Kühlschrank, in dem Welten aufeinanderprallen: Es hat beinahe etwas Surreales, wenn dort Turnschuh, Schaufensterpuppe und Motorradhelm mit Knochenfunden oder Bienenwaben verschmelzen.