Auf der Bühne des Schauspiels Dortmund, im Stück „Zwischen zwei Stürmen“, gibt es einen besonderen Moment, wenn zum ersten Mal die Figur der Hexe Sycorax auftaucht: Man spürt, dass ihre Darstellerin keine Schauspielerin im eigentlich Sinne ist. Sie spricht den Text mit einer erstaunlichen Präsenz – sie ist Spoken-Word-Artistin: Bernice Lysania Ekoula Akouala aus Essen.
Spoken Word ist bislang noch stärker in der Untergrund-Kultur verankert als Poetry Slam. Bekannt wurde es durch Menschen wie Allen Ginsberg, Patti Smith, Gil Scott-Heron oder aktuell Kae Tempest. Im Ruhrgebiet macht sich jetzt Bernice Akouala dafür stark, etwa indem sie die Spoken-Word-Bühne im Bochumer Bahnhof Langendreer präsentiert.
In die Dortmunder Inszenierung gerutscht ist sie, weil sie – damals noch als Teil des Dramaturgie-Teams des Schauspiels – die Zusammenarbeit mit Regisseur Poutiaire Lionel Somé vorgeschlagen hat. Er stammt aus Burkina Faso und hatte dort auch mit https://kulturkenner.de/events/christoph-schlingensief Christoph Schlingensief gearbeitet. Somé überblendet in seiner Inszenierung „Zwischen zwei Stürmen“ Shakespeares „Der Sturm“ und Aimé Césaires „Ein Sturm“ und fragt so nach Macht-Asymmetrien, Rassismus und Kolonialisierung.
Bernice Akouala füllt die Rolle der Sycorax mit Leben, die bei Shakespeares „Sturm“ nur als Mutter der Figur Caliban genannt wird, aber ansonsten stumm bleibt. Die Beschäftigung mit ihr brachte die 33-Jährige auch zu einem neuen Blick auf sich selbst: „Mir ist noch einmal bewusst geworden: Ich bin afrikanisch. Ich wachse in der Diaspora auf.“ Deswegen habe sie Ansätze gewählt, die auch von ihr selbst erzählen, habe sich gefragt: Was hat diese schwarze Frau, die auf einer Insel aufwächst, mit ihr zu tun?
Irgendwann schnippst sie auf der Bühne mit den Fingern und Menschen im Publikum tun es ihr gleich, als würde sich ein geheimes Zeichen der Zustimmung oder ein Signal von Körpern, die eine gemeinsame, kollektive Erfahrung teilen, im Raum manifestieren. Bernice Akouala wurde im Kongo geboren und wuchs dort in den ersten drei Lebensjahren auf, an die sie praktisch keine Erinnerung hat. Mit ihrer Mutter kam sie ins Ruhrgebiet, ging in Essen zur Schule, studierte Sozialpädagogik. „Ich habe immer gespürt, dass ich hier deplatziert war, ohne es klar benennen zu können“, erinnert sie sich und spricht davon, schon im Kindergarten gewaltvolle Erfahrungen gemacht zu haben. Dass sie in der weißen Mehrheitsgesellschaft immer als „die Andere“ gelten wird, wurde ihr besonders bewusst als sie mit fünf Jahren noch einmal für ein halbes Jahr im Kongo lebte. „Dort habe ich diese Erfahrung nicht gemacht, war keine sichtbare Minderheit.“
In einem Spoken-Word-Text geht um die Autor*innen und die jeweilige Perspektive
Der Kongo ist ihr bis heute Sehnsuchtsort. Mit 25 Jahren ging sie noch einmal zurück, ließ alle Verpflichtungen im Ruhrgebiet hinter sich, forschte zu ihrer Familiengeschichte. Irgendwann möchte sie wieder in das Land, wo ihr Vater und ihre Großeltern leben. Zu ihrer Kunst gekommen ist sie beim Aufwachsen im Ruhrgebiet: „Ich habe schon immer Tagebuch geschrieben und oft die Rückmeldung bekommen, dass ich eine angenehme Stimme habe“, erinnert sie sich an Initial-Funken. „Als ich mich ein paar Jahre in einer christlichen Gemeinde engagiert habe, war ich immer diejenige, die den Vers vorlesen sollte.“ Dass sie mit dem Schreiben und Vortragen zur Spoken-Word-Art und nicht zum Poetry Slam gefunden hat, liegt sicher auch in ihrem Wesen begründet. Bernice Akouala wirkt sanft und nachdenklich, wie ein Mensch, der Impulsen, Stimmungen, Fragen lange nachspürt.
„Spoken Word ist freier als Poetry Slam“, sagt sie. Die Form des Poetry Slam spiegele für sie wider, wie die deutsche Gesellschaft funktioniere: „Es gibt einen Wettkampf mit klaren Regeln, eine nächste Runde, anwesend ist die weiße Mehrheitsgesellschaft.“ In einem Spoken-Word-Text muss sie nicht unbedingt gefallen, keine Lacher setzen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es geht um die Autor*innen und ihre jeweilige Perspektive.
Bernice Akoualas Perspektive ist die der Schwarzen Frau in der weißen Mehrheitsgesellschaft. „Sie wird oft vergessen“, sagt sie und wünscht sich auch, dass sie im Theater öfter vorkommt – sei es als Figur oder als Körper auf der Bühne. Dafür arbeitet sie auch als Teil des Autor*innen-Zusammenschlusses Bitter (Sweet) Home, das sich mit Ansätzen für zeitgenössische Theatertexte mit einer klaren antirassistischen Haltung auseinandersetzt.
Text: Max Florian Kühlem