„We are all Detroit“: Ein Film über den Verfall der Automobilindustrie

Film
Die Dokumentarfilmer Ulrike Franke und Michael Loeken spüren in »We Are All Detroit – Vom Bleiben und Verschwinden« der neuen Identitätsfindung der (ehemaligen) Industriestädte Bochum und Detroit nach. Dafür wurden sie 2022 für den Deutschen Filmpreis nominiert.

„Alles ist eitel“. Ein Befund im Sinne von nichtig und vergeblich. Im Jahr 1600 schreibt Andreas Gryphius im Angesicht seiner Zeit ein Gedicht mit dieser Zeile. Menschen, Bürger, Stadtbewohner, Arbeiter lesen daraus vor der Kamera: "We are all Detroit".

Von „Schatten, Staub und Wind“ ist in dem Sonett über die Gebrechlichkeit der Welt die Rede. Verfall einer Stadt. Detroit war Herz und Motor der Automobilindustrie, General Motors baute dort den Cadillac und vieles mehr. It’s all gone. Eine Wüstenei, die ausgriff bis nach Bochum, wo, wie in Sippenhaft, das Opel-Werk zum Stillstand kam und Bagger die Gebäude niederlegten. Archivmaterial zeigt den vorherigen Aufbruch im Revier. Irgendwann gab es 20.000 Opelaner, erzählt ein ehemaliges Gastwirts-Paar von der guten Zeit den Filmemachern Ulrike Franke und Michael Locken, als kräftig verdient wurde, viele von den Fabrik lebten, die Gastarbeiter aus Polen, Italien, der Türkei kamen. Jenseits des Ozeans zog es Arbeitssuchende aus Alabama nach Michigan in die Automobilwerke, was in der Konsequenz auch den weißen Rassismus anfachte.

Alles vorbei. „We are all Detroit“ ist eine Jahrhunderterzählung über zwei Kontinente hinweg. Aber es soll nicht nur vom „Ruinen-Porno“ einer postindustriellen Dystopie gesprochen werden, sagt ein ‚Überlebender’ und unterscheidet die „urbanen Ruinen“ im Ruhrgebiet von der „urbanen Verwüstung“ in Detroit, wo die Konzerne auch an ihrer Hybris gescheitert und am Ende „wie Räuber“ sich davon gemacht, Chaos hinterlassen und den „Exzess des Kapitalismus“ demonstriert hätten, ohne dass der Staat interveniert habe.

In Bochum wird ein neuer Markenname für das umgewidmete Gelände kreiert. Stichworte: Transfer, Perspektive, Strukturwandel. Hightech auf einem hochglänzenden Marktplatz, inklusive Pflege der Anwohner. Zunächst öffnet nur ein DHL-Zentrum – „Mittelmaß“, findet ein kritischer Architekt, der größere Pläne entwirft. Auch Detroit vollzieht ein ambitioniertes Re-Building und macht aus den schlimmen Vierteln Quartiere für Hipster mit Manufakturen, kreativen Ideen oder auch landwirtschaftlicher Selbstversorgung. „Win Big“ verheißt ein Plakat spekulativ. Manchmal aber nimmt Veränderung die falsche Richtung.

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