Beim Bierchen über die Maloche quatschen oder im Kostüm über die Oberen frotzeln, im Liegesessel in die Sterne schauen, die letzte Schicht beschmettern oder dem Duft der Pferdeäpfel sportlich folgen. Die NRW-Geschichte ist reich an Vergnüglichem, das in die Liste des Immateriellen Kulturerbe Inventars aufgenommen wurde.
Seit 2003 gibt es das Übereinkommen der UNESCO zum Erhalt der verschiedensten Bräuche und Traditionen, die das Fundament jeder Gemeinschaft sind. Deutschland trat der Konvention 2013 bei. Seitdem erforschen und bewahren die Bundesländer ihre kulturellen Schätze, die entweder Identität stiften, Generationen verbinden, für ein starkes Wir-Gefühl sorgen oder Orientierung und Halt bieten.
Aktuell umfasst das Landesinventar des Immateriellen Kulturerbes 19 Einträge, von denen jeder einzelne eine spannende Geschichte erzählt: So lässt die Bolzplatzkultur Fußballherzen vielerorts höherschlagen, in dem sie dem Sportnachwuchs eine Chance zur freien Entfaltung bietet. Das urige Schützenwesen prägt hingegen das gesellschaftliche Leben in Dörfern und Städten. Es stärkt das Zugehörigkeitsgefühl in lokalen Vereinen. Wer seinen Kindern moralische Werte vermitteln möchte, ehrt zumeist die Martinstradition: Laternenumzüge mit Liedern und Schauspiel bleiben Mädchen und Jungen in Erinnerung.
Einige schützenswerte Rituale und Bräuche sind zudem an bestimmte Orte gebunden oder sie sind in speziellen Kulturhäusern hautnah erlebbar. Jeder kann sich dort den Ursprüngen und heutigen Ausübungsformen nähern. Hier eine Auswahl dieser Traditionen und ihre Schauplätze.

Die klassische deutsche Reitlehre
Die rund 38.000 Einwohner starke Stadt Warendorf im Münsterland ist die Stadt des Pferdes. Hier schlägt das Herz der deutschen Reiterei. Kein Wunder, dass Fans der vierbeinigen Tiere den Wurzeln der klassischen deutschen Reitlehre vor Ort ausgiebig nachgehen können. Denn nur auf wenigen Quadratkilometern liegen hier die Deutsche Reiterliche Vereinigung und das Gestüt des Landes NRW, der Olympiastützpunkt des Reitsports und die Deutsche Reitschule. Ortsfremde erkennen bei hochkarätigen Pferde-Events wie dem Preis der Besten oder den international bekannten Hengstparaden, wie Tier und Mensch auf den Plätzen harmonisch zusammenspielen.
Sie können die schonende Ausbildungsmethode mit bewährten Grundsätzen, eigener Fachsprache und klaren Regeln näher kennenlernen, wenn sie Trainingsstunden beiwohnen oder sich selbst aufs Ross schwingen. Die klassische deutsche Reitlehre wurde 2022 zum Immateriellen Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen ernannt. Zum Abschluss einer Reitstunde und Rundtour durch Warendorf gilt es schließlich noch über die Straße der Olympiasieger zu schlendern, einen Walk of Fame aus grauen Granitplatten, auf denen die Preisträger mit Jahr, Ort, Name, Pferd und Disziplin verewigt sind.

Vermittlung des wissenschaftlichen, insbesondere astronomischen Weltbildes in Planetarien
Wie ist unser Universum aufgebaut? Wie unterscheiden sich Sterne von Planeten? Sind unsere Ressourcen endlich? Diese und weitere Fragen zur Astronomie beantworten Experten in den vielen Planetarien NRWs. Gäste können bei Shows mehr über einzelne Himmelskörper und ihre Verbindungen untereinander lernen. Die Vermittlung dieses elementaren Wissens hat das Bundesland 2022 mit Recht unter seinen Schutz gestellt.
Besonders sehenswert sind dabei zwei Bildungszentren im Land, die im Ruhrgebiet und im Münsterland liegen. Das Zeiss Planetarium Bochum besitzt eine der modernsten Projektionsanlagen weltweit. Der Projektor Universarium IX lässt Reisen ins Weltall auf der 600 Quadratmeter großen Projektionsfläche wie echt erscheinen. Gestartet wird von einem beliebigen Ort der Erde aus. Hier finden bis zu 260 Weltraumpilot*innen einen Platz.
Das Planetarium im LWL-Museum für Naturkunde Münster besticht hingegen durch ein wunderbares wissenschaftliches Gesamtpaket. Nachdem Besuchende hier eine Expedition ins Sonnensystem gestartet haben oder zur Mission Erde aufgebrochen sind, können sie etwa einem astronomischen Vorschlag lauschen oder weiter in die Dauerausstellungen des Museums gehen. Dort schlüsseln unzählige Exponate die Zusammenhänge zwischen dem großen Ganzen und dem Mikrokosmos auf.

Rheinischer Karneval mit all seinen lokalen Varianten
Das Rheinland wird von Jecken regiert. Das ist jedem klar, der in einer Saison mal nach Köln, Düsseldorf, Bonn oder Aachen gereist ist. In diesen und vielen weiteren rheinischen Orten gelten Verkleidungen in der fünften Jahreszeit als Pflicht, herrschende gesellschaftliche Ordnungen sind ausgesetzt und jeder ist Teil einer generationenübergreifenden Gemeinschaft. Der Rheinische Karneval steht somit zu Recht seit 2014 auf der Liste des Landesinventars, schließlich ermöglicht er jedem auch, sich bei Umzügen Fastnachtritualen und Prunksitzungen mit aktuellen politischen Themen auf humoristische Weise auseinanderzusetzen.
Wer den Ursprüngen der kulturellen Ausdrucksform mit all ihren Spielarten auf den Grund gehen möchte, sollte unbedingt eine passende Ausstellung in NRW besuchen: Besonders empfehlenswert ist derzeit die Schau zur Kunst des deutschen Bildhauers und Wagenbauers Jacques Tilly, der seit über 20 Jahren Festwagen für den Düsseldorfer Rosenmontagsumzug gestaltet. Rund 500 Exponate, darunter Entwürfe und Modelle, geben zwischen dem 9. Februar und 10. August seine bissig-satirische Art im Stadtmuseum Düsseldorf wieder.
Weitere spannende Ausstellungen zum Rheinischen Karneval finden Narren zudem in den Karnevalsmuseen einzelner Städte. Nennenswert sind hier etwa das Heinrich-Wimmer-Karnevalsmuseum Hilden, das mit mehreren Guinnessbuch-Einträgen glänzt oder auch das Düsseldorfer Karnevalsmuseums sowie das Kölner Karnevalsmuseum als größtes seiner Art im deutschsprachigen Raum. Leider ist Letzteres derzeit wegen Umbauarbeiten geschlossen.

Ruhrfestspiele Recklinghausen
Die Ruhrfestspiele sind das älteste Theaterfestival Europas. Ihre Gründungsgeschichte ist herzerwärmend, schließlich geht es um Hilfe, Dankbarkeit und Solidarität: Im kriegszerstörten Deutschland reisten im Winter 1946 Hamburger Theaterleute ins Ruhrgebiet, um Kohle für die Beheizung ihrer Schauspielhäuser zu erbitten. Bergleute nahmen sich ihrer an und versorgten die Bittsteller mit dem nötigen Heizmaterial. Aus Erkenntlichkeit kamen die Theaterleute wieder und führten im Folgejahr ein Gastspiel für die Steiger und ihre Familien auf. Eine aussichtsreiche Tradition war geboren.
Bis heute ist der Gedanke des Zusammenhalts festes Element der Ruhrfestspiele, die 2024 mit ihrem Leitgedanken „Kultur für alle“ in die Landesliste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurden. Gäste, die das Festival selbst mal besuchen möchten, haben vom 1. Mai bis 8. Juni 2025 die Möglichkeit dazu. Sie können im Ruhrfestspielhaus, das am Rande des Stadtgartens Recklinghausen neben dem Tierpark liegt, Internationales Schauspiel und Tanztheater, Produktionen großer deutschsprachiger Bühnen, Lesungen, Aufführungen des Neuen Zirkus sowie überzeugendes Kinder- und Jugendtheater erleben. Letzteres stellt eine zentrale Säule des Ausnahme-Events dar.

Steigerlied
Harte Arbeit unter Tage, faire Entlohnung fürs Schaffen und ein einmaliger familiärer Zusammenhalt unter Kumpels: Diese Merkmale zeichnen den Beruf des Bergmanns aus. Die Verehrung, die damit einhergeht, ist groß. So groß, dass eine ganze Region in Erinnerungen schwelgend an die „gute, alte Zeit“ zurückdenkt, als in den Schächten noch die Kohle als schwarzes Gold zu Tage gefördert wurde. Das Steigerlied weist als hymnengleicher Song auf diese Wertschätzung hin. Das deutsche Bergmanns- und Volkslied symbolisiert seit dem 16. Jahrhundert Hoffnung und Zuversicht. Mit seiner eingängigen Melodie und einfachen Sprache spiegelt es eine ganz eigene Lebenswelt wider.
Das Land, die Kulturministerkonferenz, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und die Deutsche UNESCO-Kommission haben es nach einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren 2020 in die Liste NRWs aufgenommen. 2023 konnte das Steigerlied sogar einen Platz im bundesweiten Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes ergattern.
Das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum ist der ideale Ort, um die bekannten Zeilen des Liedes besser verstehen zu lernen. Das größte Bergbau-Museum der Welt gibt mit vier Ausstellungsrundgängen und über 3000 Exponaten einmalige Einblicke in die Arbeitsbedingungen von Zechenkumpeln. Besonders empfehlenswert ist zudem eine Führung durch das Anschauungsbergwerk, das die Arbeit im Streb mit Hammer und Eisen, Schrämwalze und Schildausbau anschaulich macht.

Trinkhallenkultur im Ruhrgebiet
Harry und Horst quatschen beim Kaffee über die Maloche, Klein-Erna sucht sich an der Theke die Klümpkes für die gemischte Tüte aus, und Mutter Marion berichtet Verkäuferin Helga von der liebenswürdigen, neuen Nachbarin: Der gemütliche Plausch anne Bude ums Eck gehört im Ruhrgebiet zum guten Ton! Trinkhallen sind hier Treffpunkte, an denen jeder willkommen ist – „egal woher de komms oder watte machs“. Das wird vor allem am Tag der Trinkhallen deutlich, der dem Kulturphänomen gewidmet ist und bei dem Ruhrgebietsreisende mehrere Büdchen auf ihrer persönlichen Wunschroute erkunden können. An über 120 teilnehmenden Anlaufpunkten warten jeweils eigene Kulturprogramme auf die Gäste. Coverbands, Kleinkünstler, DJs und Kabarettisten sorgen für eine gute, gemeinsame Zeit.
Die Trinkhallenkultur im Ruhrgebiet wurde 2020 in die Landesinventarliste des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Der nächste Tag der Trinkhallen findet im Spätsommer 2026 statt.