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Die Vergewaltigung und Ermordung einer Ärztin in Kolkata im vergangenen August schockierten Kamalini Mukherji. Die in New York lebende indische Sängerin hielt sich gerade in ihrer Geburtsstadt Kolkata auf, als das Verbrechen in einem staatlichen Krankenhaus passierte. Es wirft ein Schlaglicht auf die sexuelle Gewalt, die Frauen weltweit erleiden. Offiziellen Zahlen zufolge wird in Indien alle 15 Minuten eine Frau oder ein Mädchen vergewaltigt – die Dunkelziffer liegt deutlich höher. Mukherji beließ es nicht bei Empörung, sie schritt zur Tat. Die Interpretin der indischen Musikrichtung Rabindra Sangeet (auch bekannt als Tagore-Lieder), die im Mai 2024 beim Duisburger Kammermusik-Festival „Eigenzeit“ mitwirkte und später bei einem weiteren Gastaufenthalt die Stadt an Ruhr und Rhein näher kennenlernte, nahm gemeinsam mit einem Frauen-Ensemble (Musikerinnen der Duisburger Philharmoniker und Gastkünstlerinnen) den Protestsong „Aguner poroshmoni“ auf. Kulturkenner-Redakteur Jörg Restorff sprach mit Kamalini Mukherji über die Hintergründe des Projekts.
Wie kam es dazu, dass Sie das traditionelle Lied von Rabindranath Tagore zu einem Protestsong ummünzten? Und wie erklärt sich die Zusammenarbeit mit den Duisburger Philharmonikern?
K.M.:
Es war eine völlig spontane Reaktion. Als die Vergewaltigung und der Mord in einem staatlichen Krankenhaus passierten, hielt ich mich gerade in Kolkata auf – der Stadt, in der ich geboren und erzogen wurde. Es gab großen Zorn und viel Aufruhr, und ich beteiligte mich an den Protestmärschen. Bei den Ermittlungen gegen den Täter, der im Januar zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, waren Korruption der Behörden und Verschleierung von Tatsachen im Spiel. Ich verspürte das Bedürfnis, meinen Zorn in einer künstlerischen Form auszudrücken. Auf dem Rückflug von Kolkata nach New York war ich so erschüttert, dass ich Nils Szczepanski, dem Intendanten der Duisburger Philharmoniker, vorschlug, gemeinsam mit Musikerinnen seines Orchesters und Gastkünstlerinnen ein Musikvideo zu produzieren. Einen Song, der nicht nur auf das jüngste Verbrechen reagiert, sondern sexuelle Gewalt gegen Frauen als Ganzes ins Visier nimmt. Das Lied haben wir in nur einem Tag aufgenommen, und zwar im Orchesterprobesaal und im EarPort/Garten am Duisburger Innenhafen.
„Aguner poroshmoni“, übersetzen lässt sich das mit „Berühre mein Herz mit dem Prüfstein aus Feuer“. Anders als man es bei diesem Anlass erwarten würde, vermeiden Sie laute Töne. Im Gegenteil: Das Musikvideo, arrangiert von Mahan Mirarab, unter der Regie von Alex Kla entstanden, ist zurückhaltend, die Performance beinahe in sich gekehrt. Weshalb?
M.K.:
Der Song geht über die anfängliche Wut und Empörung hinaus und wird zu einem Gebet für Reinigung und Heilung – es ist nicht nur ein Aufruf für die Rechte der Frauen in Indien, sondern für die Menschenrechte in der ganzen Welt. Dieser Aufruf, der als stiller, aber nachhaltiger Protest zu verstehen ist, hat ein sehr positives Echo erfahren. Viele Menschen, die das Video angeschaut haben, waren zu Tränen gerührt.
Weshalb haben Sie für Ihr Musikvideo ein Lied des bengalischen Dichters, Philosophen und Komponisten Rabindranath Tagore ausgewählt?
M.K.:
Seine Lieder habe ich schon als Kind kennengelernt – sonntags wurden sie bei meinen Eltern gesungen. Später hat Tagore das ganze Community-Leben beeinflusst. Im Westen ist die universelle und zeitlose Kunst von Rabindranath Tagore viel zu wenig bekannt. Das möchte ich ändern. Er war seiner Zeit weit voraus. Noch heute werden seine Lieder überall in Indien gesungen.

Ist die Zusammenarbeit mit den Duisburger Philharmonikern ein abgeschlossenes Kapitel? Oder gibt es eine Fortsetzung?
M.K.:
Ich komme im Juni wieder nach Duisburg, weil ich dann am „Marxloh Music Circus“ teilnehme – mit diesem Projekt wollen die Duisburger Philharmoniker dem Stadtteil Marxloh als Bühne der Weltmusik ein neues Image geben. Und im Oktober wirke ich mit an einem Kammerkonzert in der Mercatorhalle Duisburg.