Sie war die Schönste von Wien. Geistreiche Muse für Künstler aller Genres. Männervernichtende Femme fatale. Aber jetzt sitzt Alma Mahler in Toblach. Ein langweiliges Bergidyll. Bauern, Kühe, Wirtshausgestank. Und ihr Ehemann? Ein Getriebener, besessen von seinem Spätwerk: „Das Lied von der Erde“. Die Neunte Sinfonie. Eine Zehnte! All das will er gleichzeitig komponieren, während Alter und Krankheit doch schon an ihm zehren. „Wie ein alter, vom Winter ausgemergelter Hirsch wirkte er, von Jägern umzingelt.“
So gnadenlos ist der Blick der Gattin auf den Komponistentitan. „Almas Sommer“, das meint den Juli und August im Jahr 1910. Alma und Gustav Mahler sind zur üblichen „Sommerfrische“ im Südtiroler Dorf Toblach. Alma schmachtet nach ihrem Liebhaber: dem jungen Architekten und späteren Bauhausgründer Walter Gropius. Während eines Kuraufenthalts hatte sie eine Affäre mit ihm begonnen. Mahler ahnt nichts. Er komponiert. Will absolute Ruhe, Lavendelduft, seine Bücher. Kein Geräusch, kein Luftzug und schon gar keine launische Alma dürfen ihn dabei stören.
Sehr ironisch porträtiert der Südtiroler Autor Lenz Koppelstätter die Marotten Mahlers, den Liebeskoller und Komponierstress gelegentlich zur Karikatur seiner selbst werden lassen. Hat der große Symphoniker gerade einen genialischen Höhenflug, bringt Koppelstätter ihn gnadenlos auf den Boden der Tatsachen zurück – wortwörtlich: „Sein Hintern knallte auf die nasse Wiese, er rutschte ab, landete im Schlamm, wischte sich den braunen Dreck von der Hose. Sah sich verschämt um. Ihm war, als schmunzelten die Kühe. Dann muhten sie. Wild durcheinander, schief, wie verstimmte Tuben. Im Dreivierteltakt wie ihm schien.“
Immerhin: Das Toblacher Vieh hat Sinn für Walzer. Mahler-Fanatiker seien gewarnt: Das ist kein Künstlerroman, der den Ehrgeiz hätte, den aktuellen Forschungsstand über Alma und Gustav Mahler abzubilden. Auch mit Äußerungen über Mahlers Musik hält Koppelstätter sich zurück. Bislang hat er sich vor allem als Autor von Kriminalromanen mit Südtiroler Lokalkolorit einen Namen gemacht. Mit „Almas Sommer“ begibt er sich erstmals ins Künstlermilieu, und so ganz ernst kann er die legendär toxische Beziehung des Promi-Paares offenbar nicht nehmen. Mit satirischem Vergnügen spitzt Koppelstätter die ohnehin schon groschenromanhafte Situation zu. Almas Liebhaber Walter Gropius hat nämlich einen seiner schwülstigen Briefe an Gustav Mahler adressiert. Wohl eine Freud'sche Fehlleistung, die wirklich stattgefunden hat. Gropius reist Alma nach Toblach nach. Und bei Koppelstätter begeistert sich das Dorf dann so sehr für den Skandal, dass es ein Duell fordert, dem Mahler nur knapp entgeht. Außerdem spielt Koppelstätter mit der charmanten Fantasie, dass Alma ihren kompositorischen Ehrgeiz vielleicht doch nie ganz aufgegeben haben könnte? So schleicht sie bei Koppelstätter nachts ins Komponierhäuschen von Mahler und „optimiert“ mit fürsorglichem Größenwahn dessen Werk. Allerdings ohne Nachwirkungen für die Nachwelt, denn: „Als Mahler die Kompositionsversuche der vergangenen Tage betrachtete, sah er sofort, dass sie irgendwann da gewesen sein musste, während er geschlafen hatte. Es amüsierte ihn ein klein wenig. Ja, sie konnte seine Notenschrift mittlerweile ganz gut kopieren, aber nicht so gut, dass er es nicht bemerken würde.“
Abwechselnd erzählt Lenz Koppelstätter aus der Perspektive der beiden Eheleute und beleuchtet durch Zeitsprünge auch frühere Momente ihres Lebens: Die erste Begegnung zwischen Gustav und Alma. Der Tod einer gemeinsamen Tochter. Die antisemitischen Anfeindungen gegen Mahler. Auch die überlieferte Begegnung mit Sigmund Freud, der nach einem mehrstündigen Gespräch lachend erklärt: „Tun Sie nicht so hysterisch, Mahler – das Hysterische, das ist es, das macht Sie fertig.“
Koppelstätters Roman „Almas Sommer“ ist kein tiefgründiges Musikerporträt. Sondern eine anekdotische Hommage an eine Amour Fou im Künstlermilieu. Und wer weiß, was die Musikgeschichte vermissen würde, hätte eine explosive Alma ihrem Gustav nicht die Hölle heiß gemacht.
Text: Nicole Strecker,Lenz Koppelstätter: Almas Sommer. Roman. Kindler Verlag 2022. 208 Seiten. 20,00 Euro