Im Porträt: Naomi Brito – erste Transfrau am Tanztheater Wuppertal

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Dem Tanztheater Wuppertal Pina Bausch ist es gewissermaßen in seiner DNA mitgegeben, neue Standards zu setzen, neue Sehgewohnheiten zu etablieren – schließlich war Pina Bausch die innovativste Choreografin ihrer Generation. Seit einiger Zeit nun tanzt Naomi Brito in Wuppertal - die erste Transfrau des Tanztheaters. Nicole Strecker hat sie getroffen und mit ihr über eine schwierige Selbstfindung in der Welt des Tanzes gesprochen.
Eine Kindheit in Brasilien - wie war das?
N.B.:
Ich komme aus Paracuru, einer kleinen Stadt im Nordosten Brasiliens, direkt am Meer. Meine Mutter hat mich adoptiert. Ich habe drei Schwestern, aber als ich zur Familie kam, waren sie schon erwachsen und ausgezogen.
Wie kam es, dass Sie adoptiert wurden?
N.B.:
Mir wurde erzählt, dass meine biologische Mutter schon zu viele Kinder hatte und es keinen Platz, kein Geld mehr für eine weitere Person in dieser Familie gab. Also hat mich meine Großmutter direkt nach der Geburt zu meiner Tante gegeben und meine Tante mich dann zu meiner Mutter.
Ihre Mutter wollte nach dem Weggang ihrer leiblichen Kinder also ein weiteres Kind?
N.B.:
Sie wollte endlich einen Sohn. Das war schon immer ihr Traum.
Einen Traum, den Sie nicht erfüllen konnten, oder?
N.B.:
Mein ganzes Leben lang habe ich das Gefühl, eine Enttäuschung zu sein. Der Sohn, den sich meine Mutter wünschte, sollte in Brasilien bleiben, sich im Alter um sie kümmern. Aber ich konnte ihre Träume überhaupt nicht erfüllen.
Haben Sie sich schon als Kind als Mädchen gefühlt?
N.B.:
Ich habe von klein an gespürt, dass ich im falschen Körper stecke. Dass das, was ich im Spiegel sehe, nicht so ist, wie ich mich fühle. Ich mochte Pink, Schuhe mit Absätzen und habe mir ein Tuch um den Kopf gewickelt, um so zu tun als hätte ich lange Haare.
Deshalb auch Ballett?
N.B.:
Nein, gar nicht. Als Kind tanzte ständig zu Beyoncé-Videos. Irgendwann brachte mich meine Mutter zum Ballett, weil sie arbeiten musste und ich dann beaufsichtigt war. Mit 16 Jahren bin ich zum „Seminario international de Danca“ gefahren, einem Tanzwettbewerb in der Hauptstadt Brasilia. Ein Jahr lang habe ich für diese Reise gespart! Dort habe ich ein Stipendium für die Ballettakademie Mannheim von Birgit Keil gewonnen. So kam ich nach Deutschland.
Wer waren Sie damals für die anderen?
N.B.:
Ein junger schwuler Tänzer.
Warum haben Sie sich nicht früher geoutet?
N.B.:
Weil ich zehn Jahre meines Lebens damit verbracht habe, ein Kindheitstrauma zu verarbeiten.
Was war passiert?
N.B.:
Darüber kann ich nicht sprechen. Aber das Trauma hat mich zu dieser Zeit viel mehr beherrscht als die Frage, wer ich eigentlich bin.
Hat das Tanzen Ihnen geholfen?
N.B.:
Nein, es machte mich schrecklich traurig, immer nur Ballett zu tanzen. Nach zwei Jahren in Mannheim ging ich nach Hamburg, erst in John Neumeiers Ballettschule, dann als Tänzer in das Bundesjugendballett.
Eine Top-Adresse für einen Ballerino.
N.B.:
Ja, aber für mich war es wie eine Achterbahnfahrt abwärts. Ich weiß nicht warum, aber ich habe mich selbst in diese enge Box gesperrt, die die Ballettwelt ist. Es gibt so viel Body-Shaming dort, man muss einen ganz bestimmten Körper haben und mein Körper war anscheinend nie gut genug. Ich sollte mehr Muskelmasse haben, stark werden. Das machte mir Angst. Ich wehrte mich dagegen, konnte aber niemandem erklären, warum ich meinen Körper nicht so verändern wollte. Für Transfrauen wie mich gibt es im Ballett einfach keinen Platz.
Sind Sie nach Wuppertal gegangen, weil hier zwar Ballett trainiert wird, der eigentliche Pina-Bausch-Stil aber ein ganz anderer ist?
N.B.:
Ich war schon ein Fan von Pina Bauschs Tanztheater, als ich noch ein Teenager in Brasilien war und Youtube-Clips von ihren Arbeiten entdeckte. Als ich dann nach Wuppertal kam, war es wie Magie, ich habe mich sofort in die Stadt verliebt.
Hier haben Sie sich nun auch geoutet.
N.B.:
Ja, ich habe mit der damaligen Direktorin Bettina Wagner-Bergelt gesprochen. Ich war schrecklich nervös, schließlich können Menschen wie ich entlassen werden, nur weil wir trans sind. Ich sagte: 'Bettina, ich werde mich in eine Frau verwandeln.' Sie sagte: 'Ich weiß.' Und ich heulte los.
Sie wurden für ihre Frauen-Soli in Pina Bauschs Choreografie „Sweet Mambo“ gefeiert. Aber auch für ihre Interpretation von „Orpheus“ im Stück „Orpheus und Eurydike“. Werden Sie auch künftig als Mann und als Frau auftreten?
N.B.:
Nein, „Orpheus“ war das Schwierigste, was ich je gemacht habe. Das möchte ich nie mehr tanzen.
Warum nicht?
N.B.:
Weil es eine männliche Rolle ist, und weil ich dafür fast nackt sein musste. Aber ich fühle mich topless extrem unwohl.
Wie möchten Sie vom Publikum gesehen werden, wenn Sie tanzen: als Frau?
N.B.:
Nein. Als Transfrau. Es gibt in der Gesellschaft zwar den Druck, cisgender auszusehen und Frauen zu imitieren, um akzeptiert zu werden. Aber ich möchte das nicht.
Sehen Sie Ihre Auftritte also auch als politisches Statement?
N.B.:
Natürlich, mein Körper ist politisch. Weil ich trans bin, weil ich eine Immigrantin bin. Wir müssen nichts sagen, wir müssen einfach nur da sein.
Sie könnten jetzt ein Poster-Girl für die Trans-Aktivist:innen-Szene werden.
N.B.:
Das bin ich nicht, aber ich wünsche mir wirklich sehr, dass es mehr Menschen wie mich in großen Kultur-Institutionen gibt. Wir müssen sichtbarer sein, um Rolemodells für andere sein zu können.
Ihr Auftritt in „Sweet Mambo“ war ein Anfang
N.B.:
Sweet Mambo“ war ein Traum, aus dem ich nie erwachen wollte. Ich habe mich noch nie so sehr eins mit mir gefühlt, wie beim Tanzen in diesem Stück. Ich hatte endlich keine Angst davor, beurteilt zu werden. Ich war einfach nur ich selbst.

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