Das Künstler-Duo Scheibe & Güntzel in Monheim: "Unsere Performances erschaffen Bilder"

Kunst
Das Künstlerduo Jan-Philip Scheibe und Swaantje Güntzel setzt sich in schräg-schönen Kunstaktionen mit Landschaft und Lebensmitteln auseinander. Oft geht es um die Entfremdung des Menschen von der Natur – und den Kehrseiten unserer Konsumgesellschaft. Ein Gespräch über eine ihrer Aktionen, die 2021 in Monheim entstanden.
Monheim ist zuletzt deutschlandweit in die Schlagzeilen gekommen, weil es hier einen enormen Zuwachs an Firmen gibt. Bisher hat sich wohl noch kein Künstler so intensiv wie Sie beide mit der Kulturgeschichte des Ortes beschäftigt – was interessiert Sie daran?
Swaantje Güntzel:
In unserer Projektreihe PRESERVED, die wir seit 2009 an unterschiedlichen Orten Europas realisieren, beschäftigen wir uns vor allem mit der Frage, wie sich die Menschen einer bestimmten Region über die Jahrhunderte von der sie umgebenden Natur ernährt haben und was von diesem Wissen noch greifbar ist. Damit einher geht die Frage, in welcher Weise diese Interaktion noch an der Landschaft ablesbar ist, welche Kulturpflanzen für die Entwicklung und Identität des Ortes eine Rolle gespielt haben und welche Bedeutung ihnen ggf. heute noch zukommt. Über solche Fragen lernt man sehr viel über eine Stadt und ihre Geschichte. Im Ergebnis haben wir an acht Orten im öffentlichen Raum der Stadt konzeptuelle Pflanzungen angelegt, die abbilden, welche Kulturpflanzen für Monheim in der Vergangenheit wichtig waren.
In Ihren Kunstprojekten beschäftigen Sie sich immer wieder mit dem Thema Lebensmittel, Natur, Essen – warum?
Jan-Philip Scheibe:
Die Auseinandersetzung mit kulinarischen Traditionen, Anbaumethoden, der Verwertung und Verarbeitung von Lebensmitteln und der Bedeutung die diesen Dingen zugemessen wird, gibt sehr viel Aufschluss darüber, wie die kulturelle Identität eines Ortes erwachsen ist und was dort erlebt und erfahren wurde. Das prägt die meisten Regionen auf lange Zeit, selbst wenn in den heutigen Zeiten Menschen weitaus mobiler sind als früher und aus unterschiedlichsten Gründen nicht zwingend an dem Ort, wo sie geboren wurden, verbleiben. Wir haben uns zum Beispiel 2019 während eines Stipendiums am DA, Kunsthaus Kloster Gravenhorst in Hörstel mit der Bedeutung des Grünkohls für Westfalen beschäftigt. Dafür haben wir im Vorfeld eine ausführliche wissenschaftliche Recherche auch in Zusammenarbeit mit der Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen betrieben und uns gleichzeitig mit der historischen Entwicklung der verschiedenen Regionen Westfalens befasst. Im Projektverlauf selbst haben wir dann mit weit über tausend Menschen gesprochen und sie zu ihrer Beziehung zum Grünkohl befragt.
Und wie ist die Beziehung zwischen Grünkohl und den Westfalen?
Swaantje Güntzel:
Uns fiel auf, dass die Beziehung zum Grünkohl weitaus emotionaler war als zu anderen Gemüsepflanzen. Wir sind uns inzwischen sicher, dass das etwas damit zu tun hat, dass der Grünkohl aufgrund seiner ausgesprochenen Robustheit in der Vergangenheit Mensch und Tier in schwierigen Zeiten vor dem Verhungern gerettet hat. Der Grünkohl ist kälteresistent, hält sich im Winter im Garten und auf dem Feld frisch, ohne dass er eingelagert werden muss, die Blätter wachsen immer wieder nach, er liefert grundlegende Nährstoffe und ernährt zusätzlich mit den welken Blättern das Vieh. So etwas prägt die Betrachtung eines Gemüses, selbst wenn das Wissen darum heute nicht mehr so präsent ist.


Was haben Sie bei Ihren Recherchen über Monheim bzw. über die Entwicklung des Ortes herausgefunden?
Swaantje Güntzel:
Für uns war es zum einen sehr aufschlussreich zu sehen, wie schnell die Stadt sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat, aber auch wie präsent der Bezug zur römischen Siedlungsgeschichte bis heute ist, der sich tatsächlich auch noch in der hiesigen Flora ablesen lässt. In unserer Recherche haben wir acht Pflanzen eingegrenzt, die in unseren Augen die Entwicklung der Stadt abbilden. Dazu gehören Pflanzen, die vermutlich schon von den Römern mitgebracht wurden, wie z.B. der Schwarze Senf und der Dost, aber auch Pflanzen, die für die lokale Geschichte von Bedeutung waren, wie die Zuckerrübe, die in einer Krautfabrik zu Rübenkraut verarbeitet wurde, ein Ort, der in der Erinnerung der Monheimer*innen weiterhin lebhaft bedacht wird. Der im Rheinland beliebte „Kappes“ (Weißkohl) und die Dicke Bohne durften natürlich nicht fehlen, ergänzt wurde die Reihe schließlich vom Flachs und dem Stielmus, sowie dem Sommerroggen, der hier auffällig viel und lange angebaut und erst sehr spät vom Weizen verdrängt wurde.
Ob Pumpernickel, Blutwurst, Senf oder Printen – in Nordrhein-Westfalen gibt es viele regionale Spezialitäten. Was würden die Monheimer als ihre Spezialität bezeichnen?
Jan-Philip Scheibe:
Die Stadt hat bereits seit dem 13. Jahrhundert eine Brautradition und wurde später auch über die Stadtgrenzen hinaus durch das Sortiment der „Monheimer Brauerei Peters & Bambeck“ bekannt. Die Braustätte wurde allerdings 2004 geschlossen, jedoch ist der Stolz auf sie bis heute ungebrochen. Wir erfuhren, dass es inzwischen junge Brauer gibt, die die Tradition wieder aufnehmen und wir selbst haben vor dem Hintergrund dieser Geschichte entschieden, in unserem Projekt auch ein Bier zu brauen. Es ist gut möglich, dass es nicht mehr lange dauert, bis man Monheim wieder selbstverständlich mit dieser Spezialität assoziiert.
Ihr aktuelles Projekt heißt „PRESERVED // Schwemmland“. Wofür steht der Titel genau?
Swaantje Güntzel:
Bei dem Titel haben wir uns auf den Rhein bezogen, der die Identität der Stadt maßgeblich geprägt hat, sowohl als Siedlungsstandort, wie auch als Lieferant fruchtbaren Schwemmlands und als Verkehrsweg. Aus heutiger Perspektive geht es dabei aber auch um die Veränderungen in der Klimakrise, um Wassermanagement, um Plastik, das angeschwemmt wird, um Hochwasser und damit auch um die Verschiebung unserer Identität.
Warum sind Sie bei einer Aktion auf einem Kaltblut durch ein Wohnviertel geritten?
Swaantje Güntzel:
Mit dieser Aktion wollten wir zum einen dem Rheinischen Kaltblut, das für die Entwicklung des gesamten Rheinlands eine elementare Rolle gespielt hat, ein Denkmal setzen und zugleich darauf verweisen, dass die Gegend bis vor gar nicht so langer Zeit noch stark landwirtschaftlich geprägt war. Das Wohnviertel ist das sog. „Berliner Viertel“ die ehemalige „Neue Heimat“. In den 1960er Jahren wurden dort in kürzester Zeit auf vormals landwirtschaftlich genutzter Fläche Trabantenstädte errichtet, die die Wohnungsnot in Düsseldorf lindern sollte. Der Stadtteil ist über lange Zeit nicht organisch mit der Stadt zusammengewachsen und steht heute fast schon symbolisch dafür, wie sprunghaft die Bevölkerung in Monheim immer wieder wuchs. Das Pferd, das wir reiten durften, wurde uns von der Züchter-Familie Reuter von Haus Bürgel zur Verfügung gestellt und heißt Eberhard. Das Rheinische Kaltblut ist vom Aussterben bedroht und steht auf der Roten Liste der gefährdeten einheimischen Nutztierrassen in Deutschland.

Wie war die Reaktion der Menschen?
Swaantje Güntzel:
Durchweg positiv. Schon als Eberhard in einer Seitenstraße ausgeladen wurde, standen viele Interessierte um uns herum und wollten wissen, was passiert und während der Aktion selbst konnten uns die Menschen mitten beim Einkaufen erleben, aber auch während sie draußen vor Cafés saßen. Durch eine Performance dieser Art erschafft man ja in erster Linie ein Bild, das man den Menschen anbietet und mit dem sie sich beschäftigen können. Während unserer Performances erscheinen wir grundsätzlich als Kunstfiguren, Jan-Philip Scheibe trägt immer einen dunklen Anzug und ich immer ein Kleid. In diesem Fall eine rotes, das schon für sich farblich sehr auffällig war. Im Prinzip bricht man ja mit dieser Art der Intervention die Erwartung an unser sozial codiertes Verhalten im öffentlichen Raum und ist so in der Lage, Aufmerksamkeit zu generieren. Das hat sehr gut funktioniert.
Interview
Annika Wind

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