Dass diese Eigenschaften nicht immer seiner Selbsteinschätzung entsprechen, steht auf einem anderen Blatt. Matthias Hartmann sieht sich als Künstlernatur. Als kreativen Impuls und Prinzip gibt er zu Protokoll: „Nie ankommen. Alle Verstörungen ernst nehmen. Nie glauben zu wissen, wie es geht. Die Reise darf nicht aufhören.“
Eines aber ist gewiss: Hartmanns Karriere im deutschen und deutschsprachigen Theater ist ziemlich einmalig. Sie begann nicht in Nordrhein-Westfalen, obgleich der 1963 in Osnabrück geborene Kaufmannssohn an der Landesgrenze aufwuchs, aber Bochum wurde zur entscheidende Station seiner beruflichen Laufbahn. Davor hatte der Waldorfschüler und englische Internats-Zögling als Regisseur und Garant für Bühnenerfolge u.a. in Hannover, München, Wien und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg gearbeitet. Viele Klassiker-Inszenierungen waren darunter, aber auch glanzvolle Uraufführungen wie Botho Strauß’ „Kuss des Vergessens“ (1998), das ebenso zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde wie zuvor seine „Emilia Galotti“ 1992.
Von 2000 bis 2005 bewies Hartmann als Intendant des Schauspielhauses Bochum, dass er ein Theater im Griff hat. Das Haus stand bei seinem Vorgänger Leander Haußmann zwar künstlerisch keineswegs schlecht da, war aber abgewirtschaftet. Hartmann rüstete auf – medienwirksam. Das Publikum dankte es ihm und kam so zahlreich wie lange nicht zuvor. Es mochte den neuen Intendanten, der spektakuläre Coups landete: Harald Schmidt gab den Lucky in Becketts „Warten auf Godot“, Helge Schneider schrieb ein Musical. Konzentrierte Kammerspiel-Aufführungen von Jon Fosse und Christian Kracht standen unter Hartmann auf dem Programm, dazu reichlich Gegenwartstheater von Sibylle Berg, Albert Ostermaier oder Moritz Rinke bis Neil LaBute. Getragen wurde das von einem Klasse-Ensemble, darunter populäre Darsteller wie Otto Sander und Tobias Moretti.
Die Bochumer Bilanz bereitete Hartmann den Weg ans Zürcher Schauspielhaus, dessen Vertrag er vorzeitig auflöste, um ab der Saison 2009/2010 das prestigeträchtige Wiener Burgtheater zu leiten. An beiden Orten, in Bochum und Wien, wurde er zu einem Nachfolger des gewissermaßen geborenen Burgtheaterdirektoren Claus Peymann. Wenn es eine Vergleichsgröße für Hartmann gibt, dann ist es der 26 Jahre ältere Kollege: in der Ego-Größe, im Machtgeschick und Organisationstalent, mit seinem Händchen fürs Gelingen und der Inszenierung des Erfolgs.
2014 erschütterte ein nahezu beispielloser Finanz-Skandal das Wiener Burgtheater und in der Folge wurde Hartmann genötigt, seine Intendanz niederzulegen. Eine Verantwortung konnte ihm jedoch vor Gericht nicht nachgewiesen werden. Er übernahm leitende Funktionen beim österreichischen Privatsender ServusTV und Red Bull Media House. Als freier Regisseur arbeitet Hartmann weiter sowohl in der Oper wie dem Schauspiel, unter anderem in Düsseldorf.