Literaturtipp - Biografie über die Tänzerin Isadora Duncan

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Wollte man eine Sammlung spektakulärer Künstler-Tode anlegen, dürfte dieser nicht fehlen: das schnelle, Hollywood-filmreife Ende von Isadora Duncan.

Wir sind in Nizza, im Jahr 1927. Die Duncan ist ebenso weltberühmte Ausdruckstänzerin wie weltberühmte Femme fatale. Wieder einmal ist sie auf einen Flirt mit einem deutlich jüngeren Mann aus, dem Rennfahrer Benoit Falchetto. Sie steigt zu ihm ins Auto, wirft sich noch mit dramatischer Geste einen Schal um den Hals, ruft „Adieu meine Freunde, ich fahre gen Ruhm“. Falchetto fährt an. Der Schal verfängt sich in den Speichen des Hinterrades, bricht Isadora Duncan das Genick. Ein Schal, ausgerechnet ein Schal tötet sie! Das wichtigste Accessoire bei ihren Bühnenauftritten, ihr Markenzeichen. Es war, als hätte ihr Tanz-Kostüm sie gekilled. So entstehen Legenden.

Über die große Duncan – eine der wenigen Frauen des letzten Jahrhunderts, bei denen der Nachname reicht, wie „die Dietrich“, „die Piaf“ oder „die Monroe“ – über die Duncan also gibt es jetzt eine neue Biografie von Michaela Karl: „Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem.“ Karl erzählt wunderbar lebendig vom Leben der Rebellin, aber immer auch mit Blick auf die Umstände der Zeit. So passte diese junge Amerikanerin mit ihrem hennarot gefärbtem Haar, ihrer weiblichen Erscheinung und fließenden Gewändern einfach perfekt in den Jugendstil der Belle Époque in Europa.

Eine verführerische Nymphe, angetreten, um das Ballett von den Bühnen dieser Welt zu scheuchen – mit einem sinnlichen, freien Tanz, der den Solarplexus zum Zentrum der Bewegungen macht und in jedem Menschen den Künstler entdeckt. Und ein bisschen auch mit unlauteren Mitteln: So sorgt sie als Blusenblitzerin und eloquente Kämpferin gegen jede Form von Bodyshaming regelmäßig für Skandale. Sie wird die Hohepriesterin einer befreiten Weiblichkeit und erobert mit ihren Ideen die großen Opernhäuser, sogar den Grünen Hügel von Bayreuth.

Zahllos und namhaft sind ihre Affären, darunter der russische Dichter Sergej Jessenin und der millionenschwere Nähmaschinenfabrikant Paris Singer. Vor Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw tanzt sie mit über 40 Jahren nackt, raunt ihm zu: Ein Kind mit seinem Verstand und ihrem Körper würde doch gewiss die Welt aus den Angeln heben. Seine Antwort: „Sie haben recht, meine Liebe. Aber was machen wir, wenn es meinen Körper und ihren Verstand hat?“

Unvergesslich im schrillen Celebrity-Leben sind aber auch die echten Tragödien wie der grausame Unfalltod ihrer beiden Kinder: Sie ertrinken in einem Auto in der Seine. Andere wären daran zerbrochen. Isadora Duncan kämpft sich zurück auf die Bühne. Sie sei, schreibt Biografin Michaela Karl, „eine Königin des Scheiterns, Aufstehens, Überlebens größter Katastrophen“. Eine hellsichtige, geniale Künstlerin. Und ein echtes Role Model. Damals, wie heute.

Michaela Karl: „Lasst uns tanzen und Champagner trinken - trotz alledem. Isadora Duncan. Eine Biografie“. Verlag btb. 448 Seiten. 24,00 Euro

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