Im Porträt: Kraftwerk

Musik
Angekommen im Olymp der Klangpioniere ist die Düsseldorfer Band schon lange - inspirierte sie doch nicht zuletzt Künstler wie David Bowie, Björk oder Dr. Dre und übte Einfluss auf ganze Musikstile von Synthiepop bis Hip-Hop aus.

Mittlerweile ist Kraftwerk mit dem Sonderpreis "Early Influence Award" ausgezeichnet und seit der offiziellen Aufnahmezeremonie 2021 in Cleveland auch in der Rock & Roll Hall of Fame zu finden. Also werfen wir doch hier doch mal einen Blick auf die Geschichte des berühmten "Roboter-Quartetts".

Es war in Paris, wo Kraftwerk zur europäischen Band und die elektronische Musik scheinbar deutsch wurde. Irgendwann im Frühjahr 1976 muss es gewesen sein, genau lässt es sich nicht mehr datieren, wie so vieles unklar blieb in der Geschichte dieser geheimnisumwitterten Düsseldorfer Band. Aber von diesem Abend in Paris existiert wenigstens ein Foto. Darauf sind Ralf Hütter und Florian Schneider zu sehen, die Gründer und Köpfe von Kraftwerk, zusammen mit ihrem französischen Labelmanager Maxime Schmitt, dem befreundeten Journalisten Paul Alessandrini und dessen Ehefrau Marjorie.

Die Fünf sitzen um einen runden Tisch des „Le Train Bleu“ im ersten Stock des Gare de Lyon, von dem Restaurant aus konnte man die Fernzüge im Bahnhof aus- und einfahren sehen. Man unterhielt sich über Kraftwerk, und Alessandrini erinnerte sich später, er habe im Laufe des Abends zu Schneider und Hütter gesagt: „Die Musik, die ihr macht, ist eine Art von elektronischem Blues, und Bahnhöfe und Züge spielen in eurer Welt eine wichtige Rolle, und deshalb solltet ihr einen Song über den Trans Europa Express schreiben.“

Kraftwerk war zu diesem Zeitpunkt eine Band mit nur einem Hit, „Autobahn“, dessen Einfluss auf andere Musiker, Leute wie David Bowie etwa, weit größer gewesen war als die Verkaufszahlen der 1974 veröffentlichten Single und des gleichnamigen Albums. Die Nachfolgeplatte „Radio-Aktivität“ (1975) galt als wenig eingängig, in Frankreich immerhin war sie recht erfolgreich gewesen. Was Kraftwerk 1976 fehlte, war ein neuer Hit und ein verfeinertes, auch international verständlicheres Bandkonzept. Bei der Gründung 1970 war die Gruppe eher eine weitere deutsche Krautrockband, vergleichbar mit CAN, Tangerine Dream oder Amon Düül, doch Kraftwerk hatte sich Schritt für Schritt von den Improvisationsanfängen entfernt, hin zu einer strengeren, minimalistischen, bald vollelektronischen Musik.

„Autobahn“ war die Feier eines urtypischen, durchaus ambivalenten deutschen Topos gewesen, und insofern musste Schneider und Hütter die Idee mit dem TEE wie eine logische Fortsetzung ihres Themas von Maschinen und Fortbewegung vorkommen, nur eben als europäische Variante. Die erste Strophe von „Trans Europa Express“ lautete dann „Rendezvous auf den Champs Élysée, verlass Paris am Morgen mit dem TEE“, es war der nächste und zugleich erste wirklich internationale Hit für Kraftwerk, und doch spielte diese Band weiter so erfolgreich mit ihrer Herkunft, dass man für eine Weile dachte: Gäbe es Jean-Michel Jarre nicht, man müsste gleichsam die Natur der elektronischen Popmusik tatsächlich für deutsch halten, entsprechend des Deutschlandklischees von einer effizienten, disziplinierten Industrienation der Ingenieure – so sehr besetzte Kraftwerk mit der entsprechenden Band-Corporate-Identity dieses musikalische Feld.

Paris, eigentlich Frankreich überhaupt, schien in einer alten deutschen Tradition auch für Kraftwerk ein romantischer Sehnsuchtsort zu sein. Das Album „Trans Europa Express“ wurde auf einer Zugfahrt von Paris nach Reims der Weltpresse vorgestellt; und das nächste Album, das den Kraftwerk-Mythos noch einmal vergrößern und verändern sollte, wurde 1978 im gerade fertig gestellten Tour Montparnasse präsentiert: Für „Die Mensch-Maschine“, das Roboter- und Raumfahrt-Konzeptalbum, hatte Kraftwerk Schaufensterpuppen mit den Gesichtszügen der Bandmitglieder anfertigen lassen, und abgesehen von einem fünfminütigen Foto-Call mit den echten Kraftwerkern übernahmen die stummen Puppen den Großteil der nicht vorhandenen Promotionarbeit für die Platte.

Die Frankreich-Fixierung von Kraftwerk setzte sich 1983 in der Single „Tour de France“ fort, der erst zwanzig Jahre später das entsprechende gleichnamige Konzeptalbum folgte, das bis heute letzte Studioalbum der Band. Auch darauf feiert Kraftwerk die Verbindung von Mensch und Maschine, nun eben im Mannschaftssport Radrennen: Der Einzelne ist nichts als eine austauschbare Funktionseinheit, ein „Robotnik“ (russisch für „Arbeiter“) einer größeren Unternehmung namens Kraftwerk. Der bis heute fast unverändert wirkmächtige Mythos dieser seltsam abwesenden und doch immer weiter existierenden Band als Begründer der elektronischen Musik gibt ihrem im positiven Sinne „unmenschlichen“ Image sogar Recht.

Was in der heutigen elektronischen Musik aber ganz praktisch weiterwirkt, ist vor allem der Klang Kraftwerks, ihre simplen Konstruktionsprinzipien von Liedern als Tracks, weniger ihr inhaltlicher Überbau mit Autobahnen, Zügen, Robotern, Menschmaschinen. Zwar muss sich heute kein deutscher Elektronikmusiker mehr wie früher notgedrungen irgendwie zu den übermächtigen Kraftwerk verhalten, doch ihre frühe Definition der elektronischen Popmusik als eher minimalistisch gilt weitgehend immer noch: ohne Kraftwerk kein Techno und speziell kein Minimal Techno.

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